01.10.2019 12:47

Oberliga


„Für uns ist die Oberliga das höchste der Gefühle. Und das ist gut so“

Tünderns nächster Gegner FT Braunschweig im Portrait / Abenteuer Regionalliga & DFB-Pokal gegen 1. FC Köln
Mannschaftsfoto FT Braunschweig
Die Tünderaner gastieren am Samstag beim FT Braunschweig (Foto: Frank Vollmer/Regionalsport.

Am kommenden Samstag stehen die blau-weißen Tünderaner um Trainer Siegfried Motzner vor einem möglicherweise richtungsweisenden Duell: Beim Mit-Aufsteiger FT Braunschweig stehen die Tünderaner vor einer wichtigen Partie. Die Freien Turner aus der Löwenstadt, im Prinzenpark-Stadion zu Hause, stiegen in der vergangenen Saison als unangefochtener Meister der Landesliga Braunschweig in die Oberliga auf – eine Rückkehr ins alte „Wohnzimmer“, das die Braunschweiger so schnell nicht mehr verlassen wollen.

Von den Nationalsozialisten verboten

Als die Freie Turnerschaft Braunschweig am 2. September 1903 gegründet wurde, hatte wusste wohl keines der Gründungsmitglieder, dass der Verein über 100 Jahre später immer noch zu den größten in der niedersächsischen Großstadt zählen würde. Allerdings fand der Verein zunächst in eine finanzielle Krise, die zu Beginn des Jahres 1933 in eine Löschung aus dem Vereinsregister mündete. Auf die Neugründung des Freien Sportvereins Braunschweig folgte ebenfalls ein jähes Ende – knapp drei Monate später wurde der Verein von den Nationalsozialisten verboten. Erst nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Verein endgültig neu geboren und gehört bis heute zu den prägenden Vereinen in Braunschweig.

FTB zweitklassig

1949 gehörten die Freien Turner zu den Gründungsmitgliedern der drittklassigen Amateurliga und stiegen dort zu einem Kandidaten für die oberen Plätze empor. 1951 gelang den Braunschweigern gar die Meisterschaft und der Aufstieg in die damals noch zweitklassige Amateuroberliga Niedersachsen-Ost. Nach zwei Spielzeiten in der „zweiten Liga“ folgte jedoch die Rückkehr in die Amateurliga, wo die Löwenstädter bis zur Auflösung der Liga im Jahr 1964 stets weiter oben zu finden waren. Anschließend spielte der Verein zwölf Jahre lang in der viertklassigen Verbandsliga Ost, ehe die Turner knapp 20 Jahre auf Bezirksebene kickten.

Eingleisige Oberliga verpasst

Im Jahr 1994 hatte die Landesliga Braunschweig die FTB wieder, ehe 1997 der Aufstieg in die Niedersachsenliga gelang. Im Entscheidungsspiel besiegte Braunschweig den Lüneburger SK II mit 4:1. Zwar stiegen die Turnier direkt wieder ab, feierten aber mit der Landesliga-Meisterschaft im Jahr 2000 die Rückkehr in die Niedersachsenliga. Dort fühlte sich der Verein offenbar pudelwohl und gehörte fortan zum festen Inventar der Liga – bis die eingleisige Oberliga Niedersachsen eingeführt wurde. Die Freie Turnerschaft schrammte 2009/10 drei Punkte an der Qualifikation für die neu eingeführte „Königsklasse Niedersachsens“ vorbei und musste daher vorerst wieder mit der Landesliga Vorlieb nehmen – bis im dritten Anlauf der Wiederaufstieg in der Saison 2012/13 gelang. Und eine „goldene Generation“ die erfolgreichste Zeit nach der Jahrtausendwende einleiten sollte...

Regionalliga & DFB-Pokal

Kaum in der Oberliga angekommen, spielte der Aufsteiger furios auf und mischte von Beginn im Meisterrennen mit. Vom dritten bis zum 23. Spieltag befanden sich die Braunschweiger auf Meisterkurs, ehe der Lüneburger SK ihnen den Rang ablief und letztlich mit sechs Punkten Vorsprung Meister wurde. Allerdings war der Traum von der Regionalliga damit nicht geplatzt. Die Turner qualifizierten sich für die Aufstiegsrelegation und sollten tatsächlich den Durchmarsch schaffen. Nach einer 1:5-Klatsche gegen den VfB Lübeck, besiegte Braunschweig den Bremer SV mit 4:0 – der Sieg bedeutet den Aufstieg, der Verein befand sich im Freudentaumel. „Das waren turbulente Jahre. In dieser Oberligasaison haben wir überragend gespielt“, gerät Fußball-Abteilungsleiter Olaf Barnbeck Jahre später noch immer ins Schwärmen – zumal der Mannschaft um den damaligen Vater des Erfolgs, Trainer Uwe Walther, ein weiterer Coup gelang. Im Niedersachsenpokal erreichte die Walther-Elf dank eines 1:0-Erfolgs gegen den VfB Oldenburg das Finale. Im Endspiel musste sich Braunschweig dem BSV Rehden zwar 1:2 geschlagen geben, für den DFB-Pokal war das Team trotzdem erstmals in der Vereinsgeschichte qualifiziert und verdiente sich damit ein absolutes Highlight: In der ersten Runde trafen die Freien Turnier im Eintracht-Stadion auf den 1. FC Köln und musste sich mit 0:4 geschlagen geben.

„Wir waren vor der Saison naiv“

„Das war für den Verein natürlich einmalig. Allerdings muss man rückblickend auch festhalten: Die Regionalliga und dieses DFB-Pokal-Spiel waren für uns absolutes Neuland“, so Barnbeck. In der Regionalliga waren die Löwenstädter absolut chancenlos und stiegen mit 27 Punkten Rückstand zum rettenden Ufer ab. Barnbeck weiß: „Wir waren vor der Saison naiv und mussten währen der Spielzeit erkennen, dass in der Regionalliga mehr als halbprofessionelle Bedingungen herrschen. Wir hatten ja alle überhaupt keine Erfahrungen in diesem Bereich. Sicherlich gilt die Regionalliga noch als Amateurliga, aber die Realität sieht anders aus. Mit Ehrenamtlichen ist dieser Aufwand nicht mehr zu schaffen, da brauchst man auf bestimmten Positionen fest angestellte Leute, die sich mit der Materie gut auskennen. Einen viertligareifen Kader zusammenzustellen, benötigt finanzielle Mittel, die wir nicht ansatzweise hatten oder haben.“

„Über allem steht Eintracht Braunschweig“

Ohnehin sei die Gewinnung von Sponsoren in Braunschweig aufgrund der großen Konkurrenz schwierig. „Über allem steht Eintracht Braunschweig und dann gibt es mit den Basketballern der Löwen und den New Yorker Lions-Footballern noch Mannschaften, die ebenfalls auf sehr hohem Niveau spielen.“ Der Abstieg aus der Regionalliga bedeutete für die Freien Turnier personellen Aderlass – viele Leistungsträger wechselten und spielen nach wie vor in der vierten Liga. „Der Kader hatte insgesamt kein Regionalliga-Niveau, aber einzelne Spieler das Niveau und wollten natürlich weiterhin dort spielen. Für uns war es daher wichtig, unseren ursprünglichen Weg nie verlassen zu haben. Entscheidend ist für uns, dass wir auf die Jugend setzen und unsere Talente für die erste Mannschaft vorbereiten“, unterstreicht Barnbeck. Mit Spielern wie Julian Bräunig, Marvin Fricke, Rick Kaupert, Keeper Timo Keul oder Co-Trainer Stefan Riedel gibt es zahlreiche Beispiele, die die Marschroute des Vereins unterstreichen.

„Für uns ist die Oberliga das höchste der Gefühle“

Braunschweigs Abteilungsleiter erzählt: „Alle dieser Spieler sind seit jungen Jahren im Verein, haben bei uns ihre Entwicklung durchlebt und sind zu echten Stützen geworden. Das ist unser Weg.“ Allerdings konnten die Freien Turner die Abgänge zunächst nicht auffangen. Im Abstiegsjahr hielt Braunschweig noch knapp die Klasse, doch in der darauffolgenden Saison 2016/17 erwischte es die FTB – der Abstieg in die Landesliga war Realität. In der Landesliga rehabilitierte sich der Verein in einem Übergangsjahr, erreichte einen guten dritten Platz, ehe 2018/19 mit 74 Zählern die souveräne Meisterschaft gelang – und damit die Rückkehr in die Oberliga. Und was soll die Zukunft bringen? „Wir wollen uns mittel- und langfristig in der Oberliga etablieren. Für höhere Aufgaben müssten wir uns anders aufstellen und vieles aufs Spiel stellen. Wir haben fünf Herrenmannschaften und über 20 Jugendteams – das alles für eine Regionalliga-Mannschaft zu riskieren, wollen wir nicht. Für uns ist die Oberliga das höchste der Gefühle. Und das ist gut so“, verdeutlicht Barnbeck.
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Autor des Artikels

Jannik Schröder
Jannik Schröder
Jannik stieg nach seinem Praktikum vor einigen Jahren neben dem Studium als Freier Mitarbeiter bei AWesA ins Boot – und ist nach seinem Master-Abschluss in Germanistik und Geschichte seit Oktober 2015 Chefredakteur.
Telefon: 0176 - 6217 6014
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