06.03.2021 10:11

Meldung


„Weil es mein Leben ist“ - Ein Holzhäuser will in Schalkes Aufsichtsrat

„Ich habe eigentlich keine Chance“ / „Ich will etwas für den FC Schalke 04 bewegen“
Thomas Bertram FC Schalke 04 Stadion
In seinem „Wohnzimmer“: Thomas Betram feuert mit Gleichgesinnten seinen Verein an. Foto: privat.
„Weil es mein Leben ist“, sagt er auf die Frage, weshalb er sich zu diesem Schritt entschieden hat. Thomas Bertram liebt den FC Schalke 04. Jetzt möchte er seinem Kultverein aus dem Ruhrpott den ultimativen Liebesbeweis machen und kandidiert für den Aufsichtsrat. „Ende Januar habe ich meine Bewerbung abgegeben“, verrät Bertram.

Unweigerlich drängen sich Fragen auf. Warum liebt ein Mann, der weder beruflich noch privat Verbindungen nach Gelsenkirchen hat, ausgerechnet die Königsblauen? Und warum ist dieser Bund gerade in Zeiten, in denen es seinem Lieblingsverein schlecht geht wie selten in der Vereinsgeschichte, stärker denn je? Die Antwort ist dieselbe: „Weil es mein Leben ist.“ Irgendwie klingt es abgedroschen. Immerhin brüsten sich viele Verantwortliche, Spieler und Fans mit bekennenden Worten wie diesen. Gibt es jedoch Gegenwind oder der Rasen der Konkurrenz ist grüner, stellen sich diese so nachdrücklich wirkenden Statements als laues Lüftchen heraus. So viel ist versprochen: Bei Bertram sind diese Worte echt. Bertrams Aussagen werden durch seine Taten untermauert. 

Sechsjährig funkt Bertrams Leidenschaft für den Arbeiterverein erstmals auf. Im Jahr 1973 erlebt Bertram sein erstes Schalker „Heimspiel“ im Duisburger Wedaustadion. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich das Schalker Parkstadion noch im Bau für die im nächsten Jahr stattfindende Weltmeisterschaft. Am Ende steht eine 1:2-Niederlage im „Intertoto-Cup“, besser bekannt als „UI-Cup“, gegen Feyenoord Rotterdam. Was der kleine Thomas zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Diese gerade erste aufgekeimte Sympathie für den FC Schalke breitet sich unaufhaltsam in ihm aus, ein neuer „Knappe“ ist geboren – und er wird seinem Verein nie wieder den Rücken kehren.

Es folgen viele Momente der Ekstase. Der Höhepunkt ist wohl der UEFA-Pokal-Sieg 1997, als die „Eurofighter“ sich die Krone Europas aufsetzen. Im Gegenzug gibt es aber auch Momente der Trauer, der Verzweiflung, der Aussichtslosigkeit – Abstiege, Skandale und die wohl schmerzhafteste Niederlage in der Vereinsgeschichte, die in der Nachspielzeit verlorene Meisterschaft im Jahr 2001, reißen die Nerven der Fans in förmlich in Stücke. „Ich war 2001 im Parkstadion und stand auf dem Rasen. Ich habe gesehen, wie Rudi Aussauer triumphierend den Arm hob und uns signalisierte, dass wir Deutscher Meister sind. Was haben wir gejubelt, als wir uns am sicheren Ziel wähnten und vor Freude auf dem Platz geweint haben. Und als dann auf der Stadionanzeige die Schlussminuten in Hamburg liefen und die Bayern dieses 1:1 machten, sind wir alle von Wolke sieben in die Hölle gefallen. Wir haben immer noch geweint, aber es waren keine Tränen der Freude mehr. Es klingt für Außenstehende nicht nachvollziehbar – ich habe selten im Leben größere Trauer empfunden. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen“, erinnert sich Bertram an einen der bittersten Momente der deutschen Fußballgeschichte. 

FC Schalke 04 Murcia  Benito Raman AWesA
Thomas Bertram und Schalkes Torjäger Benito Raman. Foto: privat.
In den folgenden Jahren erholt sich Inter Holzhausens Fußball-Chef zwar von diesem Schockmoment, immerhin spielt S04 mindestens eine akzeptable Rolle in Deutschlands Fußball-Elite, darf sogar noch vereinzelt vom Titel träumen und ist regelmäßig in der Champions League vertreten. Was er noch nicht ahnt: die größte Krise steht ihm erst noch bevor. Plötzlich fällt Schalke in ein Loch, das keiner kommen sieht – aus dem Champions League-Teilnehmer wird innerhalb weniger Monate ein akuter Abstiegskandidat. „In der Hinrunde der Saison 2019/20 durften wir uns noch berechtigte Hoffnungen auf einen Champions League-Platz machen“, erzählt Bertram, der in der Winterpause keinen Schimmer hat, was das neue Jahrzehnt für ihn und seiner Schalker bereithält. Bertram startet voller Euphorie ins neue Jahr, reist sogar mit der Mannschaft ins Trainingslager, lernt Trainer, Betreuer, Manager und Spieler persönlich kennen. Abgesehen von Alexander Nübels Wechsel zum FC Bayern, der ausgerechnet während des Trainingslagers bekannt wird, hat Bertram als Schalker wenig zu meckern. Und dann startet die Rückrunde...

„Nach der Winterpause lief nichts mehr zusammen“, drückt Bertram es noch diplomatisch aus. Was folgt, ist eine nicht für möglich gehaltene Formkrise, Schalke spielt die schlechteste Rückrunde seit dem Abstiegsjahr 1988. Doch ist Schalke nicht nur sportlich in einer nicht enden wollenden Talfahrt gefangen – in der Öffentlichkeit sorgen Entscheidungsträger für unzählige Negativ-Schlagzeilen und es stellt sich heraus, dass der FC Schalke 04, auch aufgrund der in Deutschland angekommenen Corona-Pandemie, große finanzielle Probleme hat.

Parallel fasst Bertram einen für ihn großen Entschluss: Statt sich der schimpfenden Schar anzuschließen und auf den am Boden liegenden Herzensverein einzuschlagen, möchte er mithelfen, Schalke in ruhigere Fahrwasser zu manövrieren. „Im Trainingslager ist die Idee aufgekommen, es einfach mal mit einer Kandidatur für den Aufsichtsrat zu versuchen. Jedoch hatte ich zu diesem Zeitpunkt die Deadline für die Bewerbungen verpasst“, so Bertram. „Die Krise hat meinen Wunsch noch bestärkt.“ Also reicht er Ende Januar 2021 die Bewerbungsunterlagen für eine Position im Aufsichtsrat des FC Schalke ein. Die Voraussetzungen für eine Bewerbung sind simpel gestrickt: Man muss Vereinsmitglied sein und von drei anderen Mitgliedern für das Ehrenamt Aufsichtsrat vorgeschlagen werden. Für Bertram, der vor der Pandemie nahezu jedes Heimspiel und viele Auswärtsspiele im Stadion sieht und dementsprechend über die Jahre viele Schalker kennengelernt hat, kein Problem. Etwas länger dauert hingegen das Ausfüllen der Bewerbungsunterlagen. „Man muss viele Fragen beantworten. Welche beruflichen Kenntnisse bringt man mit? Was treibt einen an, sich zu bewerben? Was bedeutet der FC Schalke 04 für einen? Und so weiter – es geht wirklich ins Detail, ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen“, lacht Bertram. 

FC Schalke 04 Murcia  Trikots AWesA
Thomas Bertrams Trikotsammlung. Foto: privat.
Rund 30 Bewerber soll es für die diesjährige Wahl geben, Bertram ist einer davon. „Ende April oder Anfang Mai führt ein achtköpfiges, von den Mitgliedern gewähltes Gremium die Bewerbungsgespräche und schlägt anschließend zehn Kandidaten vor, die sich auf der Jahreshauptversammlung den Mitgliedern präsentieren dürfen und im besten Fall gewählt werden“, erklärt Bertram: „Die Vereinssatzung sieht vor, dass in 2021 von diesen zehn Bewerbern fünf gewählt werden.“ Zwar verfügt Bertram über keinerlei Erfahrungen als Aufsichtsratsmitglied, bringt aber im Gegenzug Kompetenzen mit, die ihm durchaus helfen können. Beruflich arbeitet er im Personalbereich in einer leitenden Position, ehrenamtlich engagiert er sich seit Beginn der 90er Jahre für Inter Holzhausen, ist darüber hinaus 2. Vorsitzender des NFV-Kreisverbandes Hameln-Pyrmont und hat in der Vergangenheit zahlreiche große Veranstaltungen ehrenamtlich organisiert und durchgeführt – ein Jugend-Nationalspiel im Pyrmonter Stadion an der Südstraße und Public Viewings im Pyrmonter Schlosshof. „Man hört ja immer wieder, dass viel Geld oder Beziehungen in Wirtschaft und Politik von Vorteil sind. Ich verfüge über nichts dergleichen, kann aber jahrzehntelange Erfahrungen im Personalbereich mitbringen. Diese Richtung ist im aktuellen Aufsichtsrat noch nicht vorhanden“, sagt Bertram. Dennoch ist ihm klar: „Ich habe eigentlich keine Chance. Trotzdem will ich es versuchen. Ich will etwas für den FC Schalke 04 bewegen, ich möchte mitwirken und helfen! Ich gehe seit vielen, vielen Jahren so gut wie jedes Wochenende ins Stadion, ich feuere unsere Mannschaft an, ich habe im Ruhrpott Freunde fürs Leben gefunden – ich mag zwar kein gebürtiger Schalker sein, aber im Herzen bin ich seit meinem sechsten Lebensjahr Schalker durch und durch.“ 

Der Abstieg ist nur noch durch ein Wunder abzuwenden, in der Öffentlichkeit tauchen immer wieder vertrauliche Interna auf, ständige Trainerwechsel, viele unverständliche Personalentscheidungen – was würde Bertram denn konkret ändern, wenn er könnte? „Natürlich ist das Interesse am FC Schalke groß, aber das Personal im Verein muss in Ruhe arbeiten können. Nur dann ist es möglich, sich aus dieser Krise zu befreien und aus dem drohenden Abstieg gestärkt hervorzugehen. Wir sollten nicht naiv sein und aus den Fehlern des Hamburger SV lernen. Ein direkter Wiederaufstieg im Falle des Abstiegs ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. In der zweiten Liga muss der FC Schalke zu seinen alten Tugenden finden und Gras fressen. Nur mit Schönspielerei wird man in der zweiten Liga scheitern.“ Sicher ist so oder so: egal in welcher Liga, egal in welcher Position – der FC Schalke kann auf Thomas Bertram setzen. Die Veltins-Arena bleibt sein Wohnzimmer, Schalke seine zweite Heimat und S04 ein absoluter Herzensverein...
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