17.03.2020 19:39

Meldung


Hasse & die Bieleborner: Liebe auf den ersten Stadionbesuch

2018/19 sieht Hasse 30 von 34 Spielen seiner Bielefelder /  45 Städte, 45 Stadien, 45 Gegner, ein Verein
Jonas Hasse TuS WE Lügde Bieleborner
Dienstagabend, 17.30 Uhr in Darmstadt: Jonas Hasse hängt das Banner der Bieleborner auf - die Sonne grinst ihn mit ihrem letzten Lächeln des Tages an. Foto: privat.
Bayern, Dortmund, Hamburg, Bremen, Hannover – diese Städte werden im Normalfall genannt, fragt man einen Fußballfan im Weserbergland nach seinem Lieblingsverein. Doch gibt es eine Stadt, eigentlich ganz in der Nähe, deren Existenz seit den Geburtsstunden des Internets scherzhaft infrage gestellt wird: Bielefeld. Der dort beheimatete Verein, die Arminia, fliegt in Hameln-Pyrmont und Umgebung meist eher unter dem Radar – und das völlig zu unrecht. Lange Jahre in der Bundesliga, dann der sportliche Fall und mittlerweile wieder in der Warteschlange vor dem Zelt des ganz großen deutschen Fußballzirkus. In der Hand: ein Ticket für die Bundesliga. Ob die Blauen das Ticket einlösen können und vor allem dürfen – die Spuren des Coronavirus haben längst große Teile des europäischen Gesellschaftslebens lahmgelegt –, wird aktuell und in den kommenden Wochen heiß diskutiert. Bielefeld führt die 2. Liga mit sechs Punkten und mehr vor den großen Favoriten aus Stuttgart und Hamburg an, spielt eine Saison, die im Vorfeld keiner für möglich gehalten hätte. Und doch sind es Wochen der Ungewissheit, die die treuen Fans eines Vereins, dessen Heimat es eigentlich gar nicht gibt, aktuell durchleben müssen.

Liebe auf den ersten Stadionbesuch

Bieleborner Fanklub Arminia Bielefeld
Freitagend in Regensburg: die Bieleborner mit Jonas Hasse (3.v.re.). Foto: privat.
Einer, der seine Tickets nicht nur einlöst, sondern sie zur Erinnerung archiviert und sie wie seine eigenen kleinen Schätze hütet, heißt Jonas Hasse. Der beinharte Innenverteidiger des TuS WE Lügde ist glühender Anhänger des DSC. Und seine Geschichte beginnt, wie bei so vielen Fußball-Verliebten, im Stadion – auf der Bielefelder Alm. „Ich hatte als Kind eigentlich Sympathien für Schalke 04“, sagt Hasse rückblickend: „Mit 16 bin ich dann zum ersten Mal nach Bielefeld ins Stadion gefahren.“ Es war Liebe auf den ersten Blick. Und die liebe Liebe kennt bekanntlich keine Liga – so war es auch kein Wunder, dass Hasse im Jahr 2009 über den 18. Platz sowie den daraus resultierenden Abstieg in die zweite Bundesliga hinwegsah. Im Gegenteil: „In der Abstiegssaison war ich bei zwei Heimspielen und habe in der Spielzeit darauf sieben Spiele in der zweiten Liga miterlebt.“ Selbst der Abstieg in die dritte Liga und die drohende Insolvenz im Jahr 2011 konnten Hasses längst loderndes Bielefelder Herz nicht mehr mit der Melancholie des Fußballschmerzes löschen.

Die Bieleborner

Jonas Hasse Deutschlandkarte Arminia Bielefeld
Das Zeugnis von Jonas Hasses Auswärtsfahrten: die Deutschlandkarte.
Und was ist ein Liebender ohne Gleichgesinnte? Richtig: ziemlich alleine – gäbe es da nicht den Fanklub „Bieleborner“. Dort hat Hasse Gleichgesinnte gefunden. Seit vielen Jahren sind sie seine treuen Weggefährten. „Der Fanklub ist in einer Studenten-WG in Paderborn entstanden, daher auch der Name. Über einen guten Freund habe ich die Jungs kennengelernt und mich sofort mittendrin gefühlt. Wir haben viel unternommen und durch meinen Kumpel ist mir die Eingewöhnung sehr leicht gefallen. Mittlerweile ist der Fanklub ein fester Bestandteil meines Lebens und für mich unverzichtbar.“ Die Bieleborner haben gemeinsam mehr durchgemacht als so manches Ehepaar nach der Silbernen Hochzeit: Abstiege und Aufstiege, Tränen der Trauer und der Freude.

45 Nadeln

Eine große Deutschlandkarte ziert Hasses Heim. Sie ist ein Zeugnis der Leidenschaft, die Hasse und seine Kumpaninnen und Kumpanen für ihren Verein empfinden. „Ich habe bei den Städten, die ich bisher mit den Bielebornern besucht habe, eine kleine Nadel eingesteckt. Am 9. März kam mit Stuttgart die 45. dazu.“ 45 Städte, 45 Stadien, 45 Gegner, ein Verein. „Dadurch, dass ich die dritte und zweite Liga miterlebt habe, sind sehr viele Orte zusammengekommen. Dabei waren auch Amateurplätze“, erzählt Hasse. Von Kiel bis Burghausen an der österreichischen Grenze, von Dresden nach Düsseldorf – Hasse und die Bieleborner haben mittlerweile alles gesehen; außer die ganz großen Arenen. „Ich war zum Beispiel noch nie auf Schalke, in Dortmund oder in München. Ich habe eher die Stadien von Viktoria Köln, Heidenheim oder Sandhausen erlebt“, lacht Hasse, der seine Arminen in der Saison 2018/19 bei unglaublichen 30 von 34 Spielen live vor Ort nach vorne peitschte. In dieser Spielzeit sind es bisher 18 von 25 Duellen. Hasse schwärmt: „Es ist einfach geil, seine Mannschaft mit 500 Mann im Gästeblock anzufeuern, von denen man 400 kennt. Die Atmosphäre ist nicht in Worte zu fassen.“


Mannschaft & Fans gemeinsam gegen die Welt

Jonas Hasse Bieleborner Arminia Bielefeld
Samstagmittag in Fürth: Jonas Hasse in Vorbereitungen. Foto: privat.
Über die Jahre sind nicht nur die Bieleborner zu einer Familie geworden. Auch die Bielefelder Profis wissen die Unterstützung ihrer Fans zu schätzen. „Mit langjährigen Spielern hat man ab und an mal Kontakt. Gerade in der 3. Liga kamen die Spieler oft in die Kurve, mit einigen hat man auch mal geschrieben. Arminia Bielefeld ist familiärer als die ganz großen Vereine. Deshalb tut der elfte Sieg in Folge genauso gut wie der erste“, sagt Hasse. Die Harmonie des Vereins in sich, aber auch mit den Fans sei eines Erfolgsrezepte in dieser Saison. „Durch den Teamgedanken ist die Mannschaft in dieser Saison sehr stark und mit sechs Punkten Vorsprung Erster. Die Spieler bilden seit einigen Jahren eine Einheit und die Verantwortlichen machen einen tollen Job. Geschäftsführer Samir Arabi leistet unglaubliche Arbeit. Ein Fabian Klos, der seit fast zehn Jahren für Bielefeld spielt, ist eine absolute Identifikationsfigur und der Trainer Uwe Neuhaus hat sportlich die nötige Konstanz reingebracht. Darüber hinaus haben wir in dieser Saison das nötige Glück des Tüchtigen, wie zum Beispiel bei den 1:0-Siegen gegen Wiesbaden und Hannover.“

Coronavirus gefährdet einmalige Saison

Bieleborner Fanklub Arminia Bielefeld
Jonas Hasse (li.) und die Bieleborner im Sonderzug nach Sandhausen.
Trotz aller Euphorie sind die Blicke der Bielefelder aktuell von Sorgen erfüllt. Aufgrund des  Coronavirus droht ein Saisonabbruch, der Aufstieg der Bielefelder ist dadurch gefährdet. „Ein gutes Zeichen ist die Verschiebung der EM ins Jahr 2021. Dadurch ergeben sich neue Räume, um die Saison noch zu Ende zu bringen. Sollte die Saison annulliert werden, was ja ein realistisches Szenario im Falle eines Abbruchs darstellt, wäre Bielefeld der größte Verlierer. Es wäre unglaublich schwierig, so eine Saison noch einmal zu wiederholen“, gibt Hasse seinen Sorgen Ausdruck: „Auch finanziell wäre es schwierig. Die Zuschauereinnahmen fehlen, das Merchandising fehlt und vor allem die Fernsehgelder fehlen.“


Hasses emotionalste Arminia-Momente

Bieleborner Mallorca
10 Jahre Bieleborner - das Jubiläum auf Mallorca.
Doch sind es nicht die euphorischen Wochen und Monate, verbunden mit der Hoffnung auf die Rückkehr ins Fußball-Oberhaus, die Hasse als seine emotionalsten Momente mit Bielefeld verknüpft. Es ist der bittere Abstiegskampf in der Saison 2016/17. „Der 6:0-Sieg gegen Eintracht Braunschweig am 14. Mai 2017 war der Wahnsinn. Braunschweig hat um den Aufstieg gespielt und wir gegen den Abstieg. Ein 6:0 hat niemand für möglich gehalten. Es war unglaublich. Am Ende haben wir dank des 1:1 in Dresden die Klasse gehalten“, schwelgt Hasse in Erinnerungen. Auch der 3:2-Sieg in Dresden in der Spielzeit 2013/14 hat Hasse geprägt: „Es war der letzte Spieltag und wir haben Dresdens Abstieg durch den Sieg besiegelt. Die Dynamo-Fans haben ein Banner mit der Aufschrift 'Ihr habt eine Stunde Zeit, die Stadt zu verlassen' aufgehängt. Wir dachten, dass wir Bielefelder Fans gemeint seien und waren schon in Sorge. Gemeint waren aber die Dresdner Spieler.“ Ein „Happy End“ gab es letztlich auch nicht für Bielefeld – in der Relegation folgte gegen den SV Darmstadt 98 der Abstieg in die 3. Liga. Und dieser hätte bitterer nicht laufen können. Hasse: „In Darmstadt haben wir 3:1 gewonnen und im Rückspiel regulär 1:3 verloren. In der Verlängerung haben wir noch das 2:3 geschossen, das war der Klassenerhalt.“ Was folgte: In der 120. Minute schoss Darmstadt das 4:2 und beförderte Bielefeld und die Bieleborner ins Tal der Tränen. Anschließend stiegen die Arminen wie der Phönix aus der Asche und könnten nun in die Bundesliga zurückkehren. Immer mit dabei in schlechten wie in guten Zeiten: Hasse und die Bieleborner. 
1632 / 5177

Autor des Artikels

Jannik Schröder
Jannik Schröder
Jannik stieg nach seinem Praktikum vor einigen Jahren neben dem Studium als Freier Mitarbeiter bei AWesA ins Boot – und ist nach seinem Master-Abschluss in Germanistik und Geschichte seit Oktober 2015 Chefredakteur.
Telefon: 0176 - 6217 6014
schroeder@awesa.de

Webdesign & CMS by cybox