15.07.2020 14:36
Spiel meines Lebens - Teil 2
Vier Aufstiege in vier Jahren – Aufstiegsexperte Hauschild
Zunächst führt der Spielmacher Hessisch Oldendorf in die Bezirksliga / Mit Preußen Hameln gelingt der Aufstieg in die dritte Liga
Von Oliver Steffan
Die Saison 1970/71 geht für die Preußen wieder gut los. Auch unter Neu-Trainer Willi Schleich können die 07-Kicker die hohen Erwartungen erfüllen und mischen wieder ganz oben mit.
Im Winter 1970 ereilt Günther „Paule“ Hauschild dann ein Angebot, das er nicht ablehnen kann. Noch Ende November 1970 schnürt der Edeltechniker für die Hamelner die Schuhe, bevor er zum Januar 1971 nach Hessisch Oldendorf wechselt. Für viele Außenstehende total unfassbar, geht der Verbandsliga-Stammspieler Günther H. fünf Klassen tiefer in die 2. Kreisklasse Schaumburg! Darauf angesprochen, merkt der begehrte Kicker nur trocken an: „Muss sich wohl gelohnt haben...“ Beim TuS Hessisch Oldendorf geht ab dieser Saison richtig etwas ab und das bekommen die bedauernswerten Gegner auf unangenehme Weise zu spüren.
TuS Hessisch Oldendorf Meister der 1. Kreisklasse (Saison 1971/72). Hintere Reihe v.l.: Spielausschussobmann Günther Engelking, Betreuer Helmut Schimanke, Günther König, Heinz Löffelbein, Rudolf Schmegner, Helmut Siegmann, Hans-Jürgen Schwaneberg, Günther Hauschild, Trainer Manfred Kühne, Vorsitzender Siegfried Gottwald. Vordere Reihe v.l.: Egbert Piotrasch, Wolfgang Voigt, Fritz Apking, Reiner Schmidt, Volker Grundmann, Reinhold “Bubi“ Smolka, Horst Ellebracht. Aus dem privaten Archiv von Hauschild.
Die Oldendorfer durchpflügen mit dem treffsicheren Distanzschützen Hauschild in den kommenden Spielzeiten die jeweiligen Spielklassen. Imposante 135 Treffer gelingen den TuS-Kickern im ersten Meister-Jahr 1971, während sich die Hamelner Ex-Kameraden in der Aufstiegsrunde zur Landesliga endlich durchsetzen können. Ein 6:2-Erfolg im alles entscheidenden Spiel gegen den Mitaufsteiger, den FC Schöningen 08, sorgt für allerbeste Laune und Freudentänze im Preußen-Lager. Die Treffer durch Fehrenz, Rolf Neumann, Jochen Schmidt und ein lupenreiner Hattrick von “Schorse“ Reinhold werden von den 2.000 Zuschauern im Hamelner Weserbergland-Stadion lang anhaltend bejubelt. Eigentlich hat „Paule“ ja zwei Aufstiege zu feiern, denn sowohl zu den TuS- als auch den Preußen-Erfolgen hat der 22-Jährige mit erstklassigen Leistungen und Toren reichlich beigesteuert…
Nach dem ersten Streich 1971 wiederholen die TuS-Kicker 1972 diese einfache Übung auch in der 1. Kreisklasse, während es im Jahr drauf schon dünner wird, denn zumindest schaffen die Grün-Weißen den möglichen Bezirkspokal-Sieg nicht. In den Punktspielen in der Bezirksklasse macht die von „Manni“ Kühne trainierte „Millionaro-Elf“ hingegen was sie will und klettert, nach dem dritten Aufstieg in Folge, im Sommer 1973 nunmehr hoch in die Bezirksliga.
„Kopfballwunder“ Hauschilds 2:1-Siegtreffer für den TuS gegen den VfB Eimbeckhausen im September 1973. Aus dem privaten Archiv von Hauschild.
„In Hameln war ich schon als Freistoß-Experte bekannt, doch beim TuS war es so, dass die Zuschauer, wenn der Ball so ab 25 Meter vor dem Tor lag, schon 'Paule, Paule' riefen, weil sie wussten, dass es gleich klingeln würde.“ Ob sanft und gefühlvoll über die Mauer geschaufelt oder volles Programm mit dem rechten Spann, die Entfernung ist egal, „Paule“ haut sie rein: „In etwa 150 Spielen für den TuS habe ich 84 Tore erzielt, die meisten per Freistoß. Mit dem Kopf habe ich vielleicht drei Treffer in meiner ganzen Laufbahn erzielt. Dafür beim 2:1-Erfolg gegen Möllenbeck ein ganz wichtiges“, schildert der Brillenträger, der zeitweise auch versucht, mit Kontaktlinsen zu spielen, nicht ganz ohne Stolz, „oder wie Horst Ellebracht mal scherzhaft sagte: 'Paule' kann alles, nur kein` Kopfball!“
„Bei einem Heimspiel in Deckbergen – das Stadion in Oldendorf wurde gerade fertiggestellt – bekam ich den Ball gegen den Bügel meiner Brille und zog mir eine Platzwunde an der Augenbraue zu. Das Kopfballspiel fand für mich eigentlich nur am Kopfball-Pendel statt, aber da war ich stark“, wirft er grinsend ein.
„Tore haben wir aus allen Lagen und in unterschiedlichsten Situationen erzielt. Das größte 'Schelmenstück' lieferten wir jedoch am 06. März 1972 beim 4:1-Sieg gegen den SC Möllenbeck ab. Wir führten bereits mit 4:1 und bekamen einen Elfmeter zugesprochen. Ich nickte 'Pimpf' Vogt nur kurz zu, wir hatten beim Training schon einmal darüber gesprochen, das Ding zu drehen. 'Pimpf' tickte den Ball, nachdem der Schiri pfiff und den Elfmeter freigegeben hatte, kurz nach vorn, ich startete von der Strafraumlinie, nahm den Ball mit und versenkte das Leder am verblüfften gegnerischen Keeper vorbei ins Netz. Alle waren verdattert, auch der Schiedsrichter guckte kurzfristig irritiert, entschied dann jedoch auf Tor für uns. Wir feixten noch lange nach Spielschluss über unsere einmalige Aktion“, freut sich „Paule“ auch Jahre später noch über eines der ausgefallensten Tore in seiner Karriere…
TuS Hessisch Oldendorf in der Saison 1972/73. Hintere Reihe v.l.: Trainer Manfred Kühne, Hans-Jürgen Schwaneberg, Hans Hansen, Günther König, Rainer Drespe, Wolfgang Voigt, Karl Dohme, Günther Hauschild, Masseur Hoffmann. Vordere Reihe v.l.: Charly Wieggrebe, Horst Ellebracht, Werner Sapia, Reiner Schmidt, Fritz Brinkel, Rüdiger Schmidt Aus dem privaten Archiv von Hauschild.
„Arno Karnau, unser Manager beim TuS, hat versucht, uns bei Laune zu halten. Wenn du eine Saison, wie im Meisterjahr 1972 mit 52:0 Punkten und 95:13 Toren in 26 Spielen abschließt, kommt, bei allem Respekt, schon mal ein gewisses Maß an Langeweile und Selbstzufriedenheit auf. So waren die Freundschaftsspiele, die wir gegen namhafte Gegner bestreiten durften, die Highlights, auf die wir hinfieberten. Bei der Partie gegen Roter Stern Belgrad in Großenwieden im Sommer 1973 haben wir vor 2.500 Zuschauern gegen eine Reihe von jugoslawischen Nationalspielern und erstklassigen Kickern echt gut ausgesehen und nur mit 0:2 verloren.
Der TuS H.O. - Meister in der Bezirksklasse Hannover 1973. Quelle: Dewezet.
Heimspiele in der Punktspiel-Serie vor 600 Zuschauern waren eher die Regel als die Ausnahme in den Zeiten im Kreis oder Bezirk. Die Leute wollten einfach sehen, was da los war bei diesem kleinen aufstrebenden Verein, der so viele Tore schoss und wir boten den Zuschauern auch erstklassiges Offensiv-Spiel. Schöner, ästhetischer Fußball, das war uns sehr wichtig und das Salz in der Suppe. Wir kickten halt gern. Die Atmosphäre, das Kameradschaftliche, die Feiern nach den Erfolgen - und wir waren sehr erfolgreich –, die Mannschaftsfahrten mit den Jungs, ich möchte keinen Tag beim TuS missen. Die Jahre in Oldendorf waren sicherlich die schönsten in meiner Laufbahn. Und klar ist auch: Erfolg kann nur entstehen, wenn sich die Mannschaft versteht, alles passt“, ist sich der Ex-Oldendorfer sicher.
„Wenn man überlegt, wer zu der Zeit, vor allem aus Hameln, so alles nach Oldendorf gekommen ist, es war schon unglaublich, was ab 1970 beim TuS passiert …“, erzählt der Spielmacher schwärmend.
„Paule“ und Kollegen. V.l.: Trainer Kühne, Schwaneberg, Hauschild, Beißner, Dohme, Ellebracht. Aus dem privaten Archiv von Hauschild.
„Als unser Sohn Hendrik 1973 geboren wurde, bezogen wir mit unserer kleinen Familie eine neue Wohnung in Hameln am Klütsüdhang. Nachdem Siegfried Gottwald mitbekommen hatte, dass in der neuen Wohnung noch so ziemlich alles fehlte, fuhr Tage später der Möbelwagen vor, die Wohnung wurde komplett eingerichtet, einfach unglaublich“, ist Günther noch heute dankbar für das, was der Gönner in Oldendorf den auserwählten Fußballspielern damals möglich macht: „Siegfried Gottwalds Wort zählte, er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Ehrenmann. Zudem hat er Dinger gedreht, die für uns junge Kicker einfach unglaublich waren. Eines Tages sprach er mich an, ob ich Lust hätte, ihn in seinem Ferrari nach Düsseldorf zu begleiten. Wir fuhren zum Autohaus Becker, dem großen Edel-Sportwagen-Haus, ins Rheinland, der Chef selbst, Herr Becker, begrüßte uns, wir tranken einen Kaffee in seinem Büro, der Chef bestellte einen neuen Wagen und wir fuhren mit einem Höllentempo wieder zurück ins Weserbergland“, merkt „Paule“ an, dass alles andere als Tempo 250 auf freier Autobahn für Macher Gottwald nicht in Frage kommt.
Nachdem sich der TuS durch berauschenden offensiven Fußball auch in der Bezirksliga-Saison 1973/74 fix einen Namen erwirbt, werfen die Preußen-Verantwortlichen in der Saisonmitte die Angel aus, um den „verlorenen Sohn“ wieder ins Weserbergland-Stadion zurückzuholen. Die Hamelner sehen gute Chancen, im Sommer 1974 in die sich gründende Amateur-Oberliga (3. Liga) aufzusteigen und setzen alle Hebel in Bewegung, den „Aufstiegs-Experten“ als Garanten für den Erfolg zurückzugewinnen. So packt „Paule“, der Anfang 1974 zu den Preußen zurückkehrt, kräftig mit an und stürzt die Hamelner Fußball-Region am 28. April 1974 gemeinsam mit seinen Kameraden der Landesliga-Meisterschaft tatsächlich in kollektiven Freudentaumel – ganz nebenbei macht der langjährige Bartträger Hauschild so die vierte Meisterschaft in Serie quitt…
Vor dem letzten Spieltag gegen Celle ist die Entscheidung um die Meisterschaft in der Landesliga noch nicht gefallen, denn die zweitplatzierten Pyrmonter können, ein Punkt hinter den Preußen rangierend, bei einem Sieg in Schöningen noch auf den Titel hoffen.
Preußen Hameln 07 – Landesliga-Meister 1974. Hintere Reihe v.l.: Rainer Ehlerding, Trainer Rolf Paetz, Leo Förster, Werner Strobel, Manager Hermann Ulrichs, Wolfgang Heinrichsen, Norbert Irtel, Jürgen Sikora. Vordere Reihe v.l.: Bernd Schoster, Horst Niebelschütz, Peter Glaubitz, Günther Hauschild, Peter Rühmkorb, Gerd Nowag, Volker Schroeder Aus dem privaten Archiv von Hauschild.
Die Begegnung der Preußen gegen den TuS Celle findet vor 4.000 Zuschauern im Weserbergland-Stadion statt. Alles andere als ein Spaziergang wartet auf die Hamelner gegen die im Mittelfeld platzierten Heidjer. Nach zehn Minuten beruhigt Günther Hauschild seine Farben und vollendet nach Pass von Rühmkorb, unhaltbar für Celles Keeper Behrens, überlegt. Speh erzielt kurz nach dem Seitenwechsel per Kopf das 1:1, doch der Ausgleich sorgt nur kurze Zeit für Unruhe im Preußen-Spiel. Nach einer Hauschild-Flanke legt Gerd Nowag in der 80. Minute auf den einschussbereiten Norbert Irtel ab, der sich mit dem 2:1-Siegtreffer für die Hamelner bedankt. Die Spielvereinigung Preußen Hameln 07 ist Meister der Landesliga Niedersachsen und Aufsteiger in die Amateur-Oberliga Nord, die dritte Liga.
„So ein Tag, so wunderschön wie heute“, skandieren die zahlreichen Preußen-Anhänger nach dem Schlusspfiff und dem großen Erfolg.
Abschlusstabelle der Landesliga 1974. Quelle: Dewezet.
Pyrmonts 2:1-Erfolg in Schöningen ist somit nur Makulatur. Die Badestädter müssen mit der Vize-Meisterschaft vorlieb nehmen. Da jedoch die ersten drei Teams den Sprung in die neue Amateur-Oberliga schaffen, neben den 07ern und Pyrmontern auch noch der Tabellendritte, Union Salzgitter sowie die viertplatzierten 96-Amateure über ein Entscheidungsspiel, hält sich die Trauer bei den Badestädtern in Grenzen.
Durch die Meisterschaft in der höchsten Amateurstaffel Niedersachsens, der Landesliga, qualifiziert sich die Elf von Meister-Trainer Rolf Paetz für die Spiele um die Deutsche Amateur-Meisterschaft. Gegner in der ersten Runde ist der TuS Neuenrade, der Meister der Westfalen-Liga. Vor 3.500 Zuschauern im heimischen Weserbergland-Stadion kämpfen Kapitän Werner Strobel und seine Mannen unter erschwerten Bedingungen. Die Vorzeichen vor diesem Match sind ungünstig, denn mit Spielmacher Peter Rühmkorb, der an einer zuvor in Stadthagen erlittenen Verletzung laboriert, fehlt ein ganz wichtiger Spieler: „Peter war im positiven Sinne ein echt Verrückter, eine absolute Heißkiste, der uns alle mitriss – ein Riesenkicker. Auf dem Platz ging er stets voran, hatte einen Wahnsinnskörper und lebte den Fußball; aber nur so kommst du in die Bundesliga. Vor den Spielen hat er sein Aufwärmprogramm immer mit zehn 100 Meter-Steigerungsläufen beendet…“, ist „Paule“ noch heute voller Bewunderung für einen seiner besten Mitspieler. Peter Rühmkorb äußert sich vor Jahren über seine Rolle bei den Preußen: „Obwohl ich von 1971 bis 1973 44 Bundesligaspiele für Hannover 96 bestritten habe, blieb Werner Strobel, als ich zu den Preußen kam, der 'Boss' im Mittelfeld. Ich habe die Zulieferdienste gemacht, er war der Taktgeber, wenn er den Ball hatte, lag dieser praktisch im 'Tresor', er verlor so gut wie nie einen Zweikampf, war nicht schnell, jedoch technisch brillant und unheimlich effektiv!“
Deutsche Amateurmeisterschaft 1974 gegen Neuenrade - „Paule“ im Tor, der Ball nicht… Aus dem privaten Archiv von Hauschild.
Als gegen Neuenrade bereits nach 25 Minuten auch noch Allrounder Rainer Ehlerding und in der 66. Minute Günther Hauschild verletzungsbedingt den Platz verlassen, müssen sich die Hamelner mit einem 0:0 begnügen und fahren vier Tage darauf als Außenseiter in den Westen. In der 77. Minute gelingt dem Neuenrader Schmidt das Tor des Tages. Mit 0:1 verlieren die Preußen vor 4.000 Zuschauern im Waldstadion des inzwischen in der Bezirksliga kickenden Clubs aus dem Märkischen Kreis und müssen den Traum, erstmals Deutscher Amateur-Meister zu werden, begraben.
Neuenrade scheidet in der nächsten Runde gegen Remscheid 08 aus. Im Finale besiegt der SSV Reutlingen dann die Remscheider im Wiederholungsspiel – das erste Spiel endet 2:2 – mit 2:1 und holt sich den Titel des Deutschen Fußball-Amateurmeisters.
Preußen Hameln 07 – TuS Celle 2:1 (1:0)
SpVgg Preußen Hameln 07: Glaubitz - Niebelschütz - Heinrichsen - Ehlerding - Schoster - Hauschild - Strobel - Rühmkorb - Irtel - Nowag – Schröder.
Tore: 1:0 Hauschild (10. Min) 1:1 Speh (49. Min) 1:2 Irtel (80. Min.)
Schiedsrichter: Kühn (Wellensiek)
Zuschauer: 4.000
FC Schöningen 08 – SpVgg Bad Pyrmont 1:2 (1:1)
SpVgg Bad Pyrmont: Brandau - Christoph - Rissiek - Monk - Ritz (46. Wünsch) - Pyka - Elsler - Loges, A. (62. Defitowski) - Sievers - Apel - Goschzik
Tore: 1:0 Kienhorn (9.) 1:1 Apel (21.) 1:2 Goschzik (50.)
Schiedsrichter: Blancke (Göttingen)
Zuschauer: 500 (davon 200 aus Bad Pyrmont)
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