09.12.2021 15:49

Spiel meines Lebens


70 Jahre TSG. Der emmersche Wolf: „Ich war kein sehr beliebter Mann“

Wolf ist einer dieser Typen, die man nur lieben kann, wenn sie auf der selben Seite stehen wie man selbst. Spielen sie auf der anderen Seite, ist es fast schon ein Genuss, sie zu hassen.

Ede Wolf (o.re.) und Heinrich Budde (o.li.) als Betreuer der Emmerthaler Altliga - diese Aufgabe führten sie jahrelang aus, ehe Ede sich aus gesundheitlichen zurückzog.
Während die Disney-Figur Ede Wolf im Entenhausener Wädlchen lebt, um dort als Mitglied des Böse-Buben-Klubs die drei kleinen Schweinchen zu jagen, hat auch die TSG Emmerthal ihren Wolf, genannt Ede und den allerwenigsten unter dem Vornamen Siegfried bekannt. Nur ist der emmersche Ede nicht Mitglied des Böse-Buben-Klubs – er steht seit mittlerweile 70 (!) Jahren in Diensten der TSG. Und er jagt auch nicht die drei kleinen Schweinchen, sondern lehrt auf dem Platz vogelfreien Stürmen über Jahrzehnte hinweg das Fürchten. „Ich war kein sehr beliebter Mann“, fasst es Wolf kurz und knapp zusammen. Ihm ist natürlich bewusst, dass der Wolf im Märchen nie ein Sympathieträger ist, doch ist das auch nie Edes Wunsch. Er tut alles, um seiner Mannschaft zu helfen. Sei es seine harte, aber nur ganz selten überzogene Zweikampfführung, seine nimmermüde Sponsoren- und Spielersuche für den eigenen Verein oder seine absolute Treue seinen Mitspielern gegenüber – Wolf ist einer dieser Typen, die man nur lieben kann, wenn sie auf der selben Seite stehen wie man selbst. Spielen sie auf der anderen Seite, ist es fast schon ein Genuss, sie zu hassen.

„Wir haben jedes Spiel gewonnen“

Mit acht Jahren, also 1949, beginnt Ede Wolfs sportliche Laufbahn bei der TSG Emmerthal. Er steht den Feldhandballern zwischen den Pfosten. Zwei Jahre später versucht er sich im Fußball, auch dort ist ihm das Verhindern von Gegentoren vom ersten Moment an wichtiger als das Erzielen von Toren. Das Blöde ist nur: Er und seine Mitspieler sind viel zu gut. „Wir haben jedes Spiel gewonnen, ich war nahezu beschäftigungslos. Wir haben vor den Spielzeiten Wetten abgeschlossen, dass wir weniger als zehn Gegentore in einer Saison bekommen, Freundschaftsspiele gegen gleichaltrige Mannschaften gab es so gut wie nie, weil niemand gegen uns spielen wollte. Wir haben schon zu Jugendzeiten bei Freundschaftsspielen meistens gegen Herrenmannschaften gespielt“, erinnert sich Ede, der mit 16 Jahren Konsequenzen zieht, die nicht nur Auswirkungen auf ihn, sondern auch auf die Knochen seiner Gegenspieler haben: Er macht als Feldspieler weiter, findet als Mittelläufer eine neue Aufgabe – heute grob vergleichbar mit einem defensiven Mittelfeldakteur. Und das äußerst erfolgreich: In der Jugend können die jungen Emmerthaler sogar mit den großen Preußen aus Hameln mithalten.

Zweiteiliger Krimi gegen Preußen Hameln

Die Hamelner sind im Herrenbereich in der damals zweitklassigen (!) Amateuroberliga beheimatet, dementsprechend prestigeträchtig ist auch ein Sieg gegen den Unterbau des Platzhirsches. Bei einem angesehen Jugendturnier der Dewezet kämpfen sich der mittlerweile 18-jährige Kapitän Wolf und Emmerthal Mitte der 1950er bis ins Finale. Dort warten erwähnte Preußen, die im Vorfeld als haushoher Favorit gelten. Während die 07er erwartungsgemäß fußballerisch mehr auf dem Kasten haben, beißen sich die jungen TSG-Kicker (Aufstellung: Bode, Horn, Beiße, Wiedmann, Wolf, Brackmann, Grunow, Rogozinski, Dohme, Richter, Dugulla) mit all ihrer Kampfeskraft ins Spiel. Nach einem 0:1-Rückstand gleicht Elfmeterschütze Wolf per Strafstoß aus, Dohme, später als einer der besten Stürmer in der Hameln-Pyrmonter Fußballgeschichte bekannt, erzielt gar das 2:1. Wolf hat anschließend mit einem weiteren Elfmeter das 3:1 auf dem Fuß, trifft jedoch nur die Latte. Die Preußen retten sich anschließend mit dem 2:2 in die Verlängerung. Hier fallen keine weiteren Tore. Weil das Elfmeterschießen noch gar nicht erfunden ist, muss das Spiel wiederholt werden. Wenige Tage später geht es also erneut zur Sache, diesmal soll die endgültige Entscheidung fallen. Emmerthal (Bode, Horn, Beiße, Wiedmann, Wolf, Brackmann, Grunow, Rogozinski, Dohme, Richter, Dugulla) glänzt vor allem über den umtriebigen Mittelläufer Wolf, der die Hamelner Spielanlage mit seiner Spielhärte im Keim erstickt. Erneut steht es beim Schlusspfiff 2:2, wieder gibt es Verlängerung – doch diesmal fällt das 3:2. „Wie schufteten die Burschen!“, heißt es in einem Artikel aus damaliger Zeit, und diesmal ist die fleißigere Mannschaft auch der Sieger. Dohme kommt trotz Verletzung zum Abschluss, trifft zum 3:2 und anschließend machen die grün-weißen Jungs zwei Tage lang kein Auge zu. „Was haben wir damals gefeiert“, erinnert sich Wolf.
Mit 18 Herrenkapitän

„Wir waren keine Kinder von Traurigkeit. Das Finale war an einem Mittwoch und ich war nach zwei Tage langer Feierei am Samstagmorgen dementsprechend gerädert. Dann kam der Anruf von unserem damaligen Vorsitzenden Köster, ich solle in der ersten Herren aushelfen.“ Der Gegner: wieder Preußen Hameln. „Die haben drei Ligen höher gespielt und ich sollte bei einem Freundschaftsspiel gegen so einen Gegner mein erstes Herrenspiel machen“, lacht Wolf. Gesagt, getan: Mittelläufer Ede bekommt vor dem Anpfiff von seinem Hintermann noch einen Spruch, der ihn prägt. „Er hat mich damals zu mir gesagt: 'Junge, ich will den Pollak hier nicht bei mir sehen, sieh zu!' Also habe ich als junger Kerl versucht einen der damals besten Stürmer der Region aus dem Spiel zu nehmen und es hat ganz gut geklappt“, erzählt der sonst so bescheidene Wolf sichtlich stolz. Der Endstand vor 1.200 (!) Zuschauern: 2:2 – eine Riesenüberraschung, wenn auch nur ein Testspiel. Schnell wird Ede ein fester Bestandteil der ersten Mannschaft und eines bleibt ihm treu: die Kapitänsbinde. „Egal, in welcher Mannschaft ich gespielt habe, ich war immer Kapitän. Ich kann gar nicht genau sagen, woran es lag. Ich war nie der Typ, der sich in den Vordergrund spielt oder eine spezielle Rolle fordert. Ich wollte einfach nur spielen und möglichst gewinnen.“

„Wenn sie es trotzdem taten, tat es schnell weh“

Also wird Wolf mit nur 18 Jahren Kapitän, bleibt anfangs Mittelläufer und rückt anschließend nach hinten auf die Position des Vorstoppers. Schnell macht sein Name die Runde. „Die gegnerischen Trainer haben ihren Mannschaften immer gesagt: 'Spielt gar nicht erst über die Mitte, da ist der Ede Wolf.' Wenn sie es trotzdem taten, tat es schnell weh.“ Zwar ist Wolf aufgrund seiner Härte berüchtigt, aber die Linie überschreitet er nur ganz selten. „Natürlich gab es mal die eine oder andere Nickeligkeit, aber ich wurde in meinem 1.200 Einsätzen für die TSG nur einmal gesperrt.“ Doch ist es nicht nur seine Spielweise, die ihn bei Gegnern unbeliebt macht. Er ist sich nicht zu schade, gute Spieler anderer Vereine immer wieder zu „nerven“, um sie zu einem Vereinswechsel zu bewegen und klappert unermüdlich mögliche Sponsoren ab. „Ich war zwar ein einfacher Arbeiter, aber trotzdem bin ich mit den Chefs der Unternehmen immer gut ausgekommen. Es war mir wichtig, dass der Verein nicht für unsere Trikots bezahlen muss. Bei den Spielergesprächen war das so eine Sache. Wenn du einen Spieler der anderen Vereine aus der Gemeinde angesprochen hast, war es ein Ding der Unmöglichkeit, zur TSG zu wechseln. Man wäre aus jeder Dorfkneipe geschmissen worden.“ Seine Einstellung zum Sport ist heute nur noch selten zu finden, gerade im unteren Amateurbereich – doch damals wie heute brennt Ede Wolf für die TSG Emmerthal.

Wolf schmeißt zukünftigen Trainer raus

Nach Niederlagen ist mit ihm nicht gut Kirschen essen. „Ich habe es einfach gehasst, dieses Gefühl des Verlierens. Wenn nach dem Spiel einer gute Laune hatte, gab es einen Tritt von hinten. Während des Spiels gab es für mich nur ein Ziel: Hier kommt keiner vorbei, irgendwie packe ich den Gegenspieler immer.“ Selbst Verletzungen bremsen das Energiebündel nicht aus. „Wenn die Nase oder Zehn gebrochen war, habe ich trotzdem gespielt.“ So verpasst Ede in seiner gesamten Herrenlaufbahn zwei – zwei! – Spiele. Für seine insgesamt 1.200 Einsätze in der Jugend, bei den Herren, Altherren und Altsenioren wird er später sogar vom NFV ausgezeichnet. Und sportlich läuft es ebenfalls. Mit Trainer Dieter Hergert kommt der Erfolg. In zwei Jahren arbeitet sich Emmerthal von der Kreisklasse bis in die Bezirksklasse vor, schafft später sogar den Aufstieg in die Bezirksliga. „Ich kann mich noch erinnern, dass Dieter damals nach einer Niederlage zu uns in die Kabine kam, um sich als unser künftiger Trainer vorzustellen. Ich kannte ihn nicht und habe ihn wieder rausgeschickt“, lacht Wolf. Nicht die besten Startbedingungen, doch verstehen sich die beiden in den kommenden Jahren so gut, dass eine tiefe Freundschaft entsteht. „Leider ist er letztes Jahr von uns gegangen. Er ist bei der TSG sesshaft geworden und bis zuletzt im Verein geblieben. Wir sind mit den Kindern zusammen in den Urlaub gefahren, haben viele Jahre gemeinsam gekegelt oder einfach etwas unternommen.“

Trotz Angeboten: Emmerthal ist alles

Nach einem Jahr Bezirksliga – Ede ist mittlerweile über 30 Jahre alt und sportlich ist aufgrund fehlender Finanzen das Ende der Fahnenstange erreicht – gönnt sich die „Kampfmaschine“ von der Emmer eine einjährige Pause, um anschließend Altherrenfußball zu spielen. Ein Angebot des damals größten Konkurrenten der Hamelner Preußen, der SpVgg. Bad Pyrmont, schlägt er zwischendurch aus. „Nach einem Testspiel kam der Trainer auf mich zu, aber ich war schon 30. Ich habe mich in Emmerthal zu wohl gewühlt, uns hat es an nichts gefehlt“, erklärt Wolf, der den nicht gemachten Schritt nie bereut hat. „Schon zu A-Jugend-Zeiten kam ein Angebot von Preußen Hameln, das habe ich ebenfalls ausgeschlagen.“ In der Altherrenmannschaft wird Ede zahm – so möchte man zumindest meinen. Weit gefehlt: Mit Wolf als Kapitän gelingt prompt der Aufstieg in die Sonderklasse. Gleichzeitig fungiert er als Mannschaftsbetreuer, organisiert viele Turniere mit, pflegt gerne den Kontakt zu Mannschaften jenseits der Hameln-Pyrmonter Grenzen. Mit 42 Jahren wechselt er in die Altliga, wo er spielt, bis er 52 Jahre alt ist. Nach über 30 aktiven Jahren hängt Ede die Fußballschuhe schließlich endgültig an den Nagel, bleibt dem Fußball in Emmerthal aber als engagierter Betreuer erhalten.

Gefährliche Emotionen

„Zumindest bis zu meinem 70. Lebensjahr. Ich konnte zwar nicht mehr mitspielen, aber ich habe immer noch mitgelitten. Ich habe nur aufgehört, weil jemand zu mir sagte, dass ich das Sportgelände irgendwann nicht mehr lebend verlasse, wenn ich weiterhin so emotional bin. Mit meinem Freund Heinrich Budde habe ich lange Jahre lang als Betreuer gewirkt. Er war der ruhige Pol, ich der wilde. Heute schaue ich mir auch nur noch vereinzelt Spiele an. Aber wir haben immer noch den Seniorentreff unserer ehemaligen Fußballer, der hoffentlich bald wieder stattfinden kann und ich werde dem Verein immer verbunden bleiben.“ Darüber hinaus ist Wolf Mitglied des Ehrenrats der TSG Emmerthal. Alleine das sollte seine Verdienste rund um seinen Verein verdeutlichen. Ein Mannschaftsspieler durch und durch, mit einem unbändigen Willen ausgestattet, bescheiden und sympathisch – für Gegner ein nimmermüder Zweikämpfer, knallhart, einer, der nicht kaputt zu kriegen ist. Ede Wolf - ein Mann, den man unterschiedlicher kaum wahrnehmen könnte.
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Team AWesA
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