08.05.2020 08:36

Spiel meines Lebens


Vom Torhüter zum Torjäger: Motzner rettet Preußen in der 90. Minute

Der Alleskönner zwischen den Pfosten gehört zu den Erfolgsgaranten der Hamelner Preußen in den 80ern & 90ern / „Motzner in Heyne-Manier“
Von Oliver Steffan

Motzners überragende Leistungen werden natürlich auch in Barsinghausen registriert, nachdem er seinen Heimatverein Lauenstein verlässt, um vier Ligen höher bei Preußen Hameln anzugreifen. Die Verbands-Trainer Horst Stockhausen und Wulf-Rüdiger Müller nominieren neben Burkhard Kohrs, dem Keeper vom ASC Nienburg, auch Siegfried Motzner von Preußen Hameln 07 ab Mitte der 80er Jahre für das Tor der Niedersachsen-Auswahl: „Ich habe mich mit Burkhard immer abgewechselt und übrigens auch erstklassig verstanden. Überhaupt war das Verhältnis zu den Torhüterkollegen in der Verbandsliga in der Regel freundschaftlich. Wir spielten üblicherweise immer jeder eine Halbzeit. Den ganz großen sportlichen Wert hatten die Auftritte unserer NFV-Auswahl nicht, allerdings galten allein die Berufungen als eine Art 'Ritterschlag' und wir waren schon stolz darauf, zum erlauchten Kreis der auserwählten, vermeintlich besten, 18 Spieler Niedersachsens zu gehören. Zudem waren Vergleiche gegen Nationalteams, z.B. 1986 gegen Kamerun, schon eine tolle Geschichte“, blickt Motzner gern auf die internationalen Begegnungen im Barsinghäuser August-Wenzel-Stadion zurück.

Preußen Hameln Saison 1986 1987
Preußen Hameln in der Saison 1986/87. Foto: Rolf-Henning Schnell. Aus dem privaten Archiv von Motzner.
Verlassen können sich die Trainer in den Auswahl-Mannschaften und auch bei den Hamelner Preußen stets auf einen selten Fehler machenden, erstklassigen Keeper Motzner. Dank seiner hervorragenden fußballerischen Ausbildung weiß er, im wahrsten Sinne des Wortes, was gespielt wird, wartet bei Eins-gegen-Eins-Situationen nervenstark, bis der Angreifer agiert und reagiert dann blitzschnell, ist fangsicher, schussstark, unerschrocken, bei Flanken aufgrund seines Gardemaßes eine Bank, kennt keine Flatternerven, verfügt über eine erstklassige Strafraumbeherrschung, dirigiert die Abwehr umsichtig und ist somit ein absolut kompletter Torhüter ohne größere Schwächen.

Preußen Hameln 1987/88
Preußen Hameln in der Saison 1987/88. Aus dem privaten Archiv von Motzner.
In der Saison 1987/88 muss der „Lange“ eine Serie lang bei den Preußen aussetzen, da es ihn beruflich nach Ägypten verschlägt: „Das Jahr in Kairo beim Bundesgrenzschutz war eine im wahrsten Sinne des Wortes einmalige Erfahrung“, ist Motzner froh, das „Abenteuer Naher Osten“ erlebt haben zu dürfen – doch auch in der Heimat ist es schön...

Nach der Rückkehr nach Deutschland überlegt Motzner kurzfristig, wie viel Zeit er seinem Hobby weiterhin widmen möchte, zumal Tochter Jennifer die Eltern Martina und Siegfried von nun an auf Trab hält: „Unter dem vielleicht besten Trainer, unter dem ich gespielt habe, Franz Genschick, kam jedoch fix die Freude und Hitze am Fußball zurück. Franz kam mit seiner großartigen Erfahrung, seiner erstklassigen Mannschaftsführung, seinem spieltaktischen Gespür und seiner verbindlichen rheinischen Art super bei uns an, fantastisch. Ich hatte wieder richtig Bock aufs Kicken, habe von ihm nebenbei auch unheimlich viel gelernt“, ist „Siggi“ noch heute voll des Lobes über einen seiner damaligen Lehrmeister: „Überhaupt waren meine Trainer in Hameln natürlich sehr prägend für mich und meine spätere Trainer-Tätigkeit, ich konnte von allen etwas mitnehmen. In meinen letzten Jahren dann in den späten 90ern durfte ich unter Holm Mauritz, Frank Illge und Peter Koptula spielen – wobei Peter der wohl fachlich beste Trainer war, hochkompetent, unheimlich ruhig und mit einer tollen Ausstrahlung. Er sagte immer: 'Notizen brauche ich mir keine zu machen, das Gehirn muss doch immer arbeiten!' Er war bei Göttingen 05 in der Zweiten Liga als Spieler ein Riese, brachte den VfR Osterode 1986, 1987 und 1989 in die Aufstiegsrunde zur Amateur-Oberliga und hat beim Training mit Ende 40 bisweilen noch echt gezaubert“, steht bei Motzner auch sein letzter Trainer im Herren-Bereich hoch im Kurs.

Nachdem die Preußen in den Spielzeiten 1990/91 und 1991/92 trotz ordentlichen Kaders sportlich nicht überzeugen können, geht die Leistungskurve der seit Herbst 1991 von Uwe Cording gecoachten Elf ab Sommer 1992 wieder deutlich nach oben: „Wir spielten eine sehr clevere Runde in der Saison 1992/93, immer im Windschatten der Top-Teams und lauerten auf unsere Chance. Cloppenburg war schon frühzeitig durch, doch um die beiden weiteren begehrten Plätze, die zur Teilnahme an der Aufstiegsrunde berechtigten, rangen wir mit dem Wolfenbütteler SV, dem SV Wilhelmshaven und dem Lüneburger SK. Mitte der Rückrunde hatten wir eine Schwächephase und drohten, den Anschluss an die Spitze zu verlieren. Mit dem Kellerkind aus Hänigsen kam dann am Ostersamstag ein unangenehmer Gegner ins Weserbergland-Stadion. Bereits beim Hinspiel in Hänigsen kamen wir spät zu einem glücklichen Sieg und auch daheim taten wir uns mehr als schwer“, erläutert Motzmer das sportliche Geschehen rund um das Heimspiel gegen den TSV Friesen Hänigsen am 10. April 1993.

Siggi Motzner - ein Torhüter als Torjäger
„Siggi“ Motzner - ein Torhüter als Torjäger. Aus dem privaten Archiv von Motzner.
Im „Sport-Mikrofon“, dem „Niedersachsen-Kicker“, heißt es am 13. April 1993:
„Motzner in Heyne-Manier* - 'Jetzt ist alles egal', dachte sich wohl Preußen-Keeper Siegfried Motzner Sekunden vor dem Schlusspfiff. Wie einst in München Dirk Heyne von den Gladbacher Borussen stürmte der Schlussmann mit nach vorne, bekam den Ball etwa zwanzig Meter vor dem Tor, lief noch ein, zwei Schritte und zog ab. Und hatte Glück, sein Schuss wurde noch leicht abgefälscht und traf genau in den Winkel. Kollege Michael Opitz, im Hänigser Gehäuse ('Ein zwar ärgerliches Tor – aber 'Siggi' gönne ich es!'), hatte keine Abwehrchance und Motzner war der gefeierte Held im Hamelner Stadion. Das Preußen-Glück verkehrte sich für die aufopferungsvoll kämpfenden Hänigser ins tragische Gegenteil. Schon im Hinspiel beim 0:1 ereilte sie das Schicksal des Gegentores in der 90. Minute, auch am Ostersonnabend gaben sie Sekunden vor Schluss einen Punkt ab.

Bis zum glücklichen Ende für die Platzherren waren die Nerven der 07-Fans bis zum Zerreißen gespannt. Was eigentlich auch ohne die verletzten Bönning, Scheler, Klein und Quindt eigentlich gar nicht nötig war, denn allein im ersten Durchgang besaßen die Cording-Schützlinge fünf sogenannte hundertprozentige Möglichkeiten. Doch Opitz rettete gegen Lorenz (25.), Dierßen (35.) und Stelzer (40.), Fehrmann (36.) und erneut Stelzer (43.) trafen aus aussichtsreicher Position das Tor nicht.

Das Pausendonnerwetter Trainer Cordings verkehrte sich ins Gegenteil. Das Team blieb verkrampft und hektisch und lieferte nur Stückwerk. Die Friesen verteidigten geschickt und verlegten sich aufs Kontern. Gegen Mario Mantei (20.) konnte Motzner noch mit Fußabwehr reagieren, gegen Völz' Fallrückzieher in der 71. Minute zum 0:1 war er jedoch machtlos. Nun lief den Preußen (ein Spielmacher war nicht zu erkennen) die Zeit davon. Die Gäste verteidigten mit Mann und Maus, z.B. schlug Stürmer Schäfer einen Dierßen-Freistoß von der Linie, und machten geschickt die Räume eng. Preußen blieb ideenlos und unfähig, das Spiel zu machen. Doch dann kam Motzner … Momentan scheint man mit dem Druck in Hameln nicht fertigzuwerden. Gegen Lüneburg ist eventuell Ralf Scheler wieder dabei, während Heiner Klein erst diese Woche wieder mit dem Lauftraining beginnt.“
*Dirk Heyne – Gladbachs damaliger Keeper stürmte am 03. Oktober 1992 beim FC Bayern in der Schlussminute bei einer Ecke nach vorn, hämmerte den Ball an den Pfosten und Martin Max musste den Abpraller nur über die Linie drücken.

Motzner sagt heute: „Ich tue mich schwer mit dem Begriff 'Spiel des Lebens', doch durch die überraschende Wende kurz vor Schluss, durch meine Bude, den Aufschwung, den wir in den Wochen danach erfahren durften und der uns auch noch durch die Relegation getragen hat, ist diese Partie wohl wirklich das entscheidendste Match in meiner Spieler-Laufbahn gewesen.“

Sonntag lest Ihr: Preußens Sensation in der dritten Liga - Auswärtssieg an der „Bremer Brücke" beim VfL Osnabrück

27. Spieltag - Saison 1992/93
Verbandsliga Niedersachsen


Preußen Hameln 07 – Friesen Hänigsen  1:1  (0:1)
Datum: Ostersamstag, 10. April 1993, 15 Uhr
Preußen Hameln 07:  Motzner  -  Schumachers  -  Borghese  -  Oswald  -  Lorenz  -  Fehrmann  -  Dierßen  -  Hanses, C.  -  Castaldo (66. Min. Kiesslich)  -  Eidinger  -  Stelzer
Trainer: Uwe Cording

Friesen Hänigsen: Opitz  -  Jung  -  Hansel  -  Nowaschin  -  Peithmann  -  Albrecht  -  Mantei  -  Pappas (70. Min. Mau)  -  Reinhardt  -  Völz  - Schäfer
Trainer: Albert Schaprian

Stadion: Weserbergland-Stadion Hameln
Zuschauer: 400
Schiedsrichter: Meyer (Braunschweig)

Tore: 0:1 Guido Völz (71. Min.), 1:1 Siegfried Motzner (90. Min.)

Zu Teil 1:

Kreispokal-Sieger 1984 - MTV Lauenstein
 
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