23.04.2020 07:44

Spiel meines Lebens


„Spiel meines Lebens": 44 Jahre Preußen – Thomas Stöck, die 07-Legende

Ein Mann, der Preußen verkörpert wie kaum ein anderer / Teil 1 von 3
Von Oliver Steffan

Thomas Stöck heute
Thomas Stöck heute. Foto: Nils Propfen.
Wenn von einem „Ur-Preußen" gesprochen wird, dann wird der eine oder Name fallen und einer ganz besonders: Thomas Stöck.

Bis auf einen einsamen Sommer, als es mit den Hameln nicht mehr weitergehen sollte, hält der Edeltechniker seit  44 Jahren die Knochen für seine Preußen hin und gibt das letzte Hemd für seinen Verein, ob in der Aufstiegsrunde zur dritten Liga, der Verbandsliga, der Niedersachsen-Liga, der Bezirksliga, der Bezirksklasse oder sogar im Kreis.


Jens-Peter Schmidt, Thomas Stöck, Peter Fabritz, Karsten Werner und Dirk Knoche gönnen sich eine kurze Pause. Foto: privat.
Jens-Peter Schmidt, Thomas Stöck, Peter Fabritz, Karsten Werner und Dirk Knoche gönnen sich eine kurze Pause... Foto: aus dem privaten Archiv von Stöck.
Bereits im zarten Alter von vier Jahren tobt „Stöcki“ mit seinen Spezies Karsten Werner, Jens-Peter „J.P.“ Schmidt, Dirk Knoche und Sven „Kögl“ Ludwig, später dann noch Olli Schubert und Christian Schneider, bei den Preußen in der „Pampers-Liga“ dem runden Leder hinterher. Bis zur A-Jugend marschieren die Burschen gemeinsam durch alle Jugend-Teams. Im letzten A-Jugend-Jahr der „Fantastischen Fünf“ wollen die von Coach Uwe Filla trainierten „Preußen-Fohlen" dann den großen Coup, die Meisterschaft in der Bezirksoberliga, schaffen.

Der große Konkurrent um den Aufstieg in die Verbandsjugendliga, der damals zweithöchsten Spielklasse in Norddeutschland, sind die Mannen vom VfV Hildesheim. Die Domstädter entscheiden das Hinspiel im Friedrich-Ebert-Stadion mit 3:1 für sich, müssen sich im Weserbergland-Stadion dem Team um Spielmacher Thomas Stöck jedoch mit 0:3 beugen. Vor dem letzten Spieltag ist die Situation klar, bei einem Sieg beim FC Lehrte sind die Preußen (34:8 Punkte, 77:27 Tore) durch, bei einem 07-Remis und einem gleichzeitigen Sieg der Hildesheimer (33:9 Punkte, 52:17 Tore) würde es ein Entscheidungsspiel um den Aufstieg geben, da das Torverhältnis bei Punktegleichheit damals noch nicht zählt.

Ausgerechnet beim wichtigsten Spiel der Saison befindet sich Coach Uwe Filla auf verdienter Hochzeitsreise, übernehmen Co-Trainer Frank Wohlfahrt und Betreuer Horst “Hotte“ Blachnik das Zepter und stellen das Team entsprechend ein.

Mit zwei Reisebussen und über 100 Schlachtenbummlern begeben sich die Hamelner auf die Tour in den Norden Hannovers. Bettlaken werden bemalt und zu Transparenten, die Preußen-Fans sorgen für echte Heimspiel-Atmosphäre an der Sportanlage am Hohnhorstweg.

Die Jungs machen sich warm, schwören sich in der Kabine auf das Spiel ein und sind auf Sieg programmiert – als es auf den Platz geht, aber einer fehlt.

„Wir schauten uns um und Ansgar Stelzer meinte nur kurz: 'Wo ist denn der Coach?' Schnell wurde klar, dass Frank nur in der Kabine sein konnte. Er ist tatsächlich eingeschlossen worden, stürzte dann aber noch pünktlich zum Anpfiff zum Platz“, weiß „Stöcki“, dass es vor der entscheidenden Begegnung noch zu einer selt- aber auch unterhaltsamen Störung kam.

Die ersten Minuten sind noch geprägt von großer Nervosität. „Wir fanden nicht richtig ins Spiel, hatten Mühe, denn die Lehrter wollten sich nicht kampflos ergeben“, so „Tommy"  Stöck rückblickend. Doch dann erlöst wieder einmal Karsten Werner die 07er in der 23. Minute mit seinem 1:0. Dutzendweise stürzen die Hamelner Zuschauer aufs Feld und feiern den Torschützen. In der Pause versucht Interims-Coach Wohlfahrt die jungen Preußen-Spieler zu beruhigen, gibt vor, den Ball in den eigenen Reihen zu halten und warnt vor unnötigen Fehlern.

A-Jugend-Meister Preußen Hameln
A-Jugend-Meister Preußen Hameln. Foto: aus dem privaten Archiv von Stöck.
Als Oliver Schubert kurz nach dem Wechsel Lehrtes Keeper Sascha Dittrich mit einem satten Schuss zum 2:0 bezwingt, scheint die Messe gelesen. Die blau-weiß gekleideten Rattenfängerstädter kontrollieren nun die Begegnung, geraten jedoch in den letzten Minuten der Partie noch einmal unter Druck, nachdem Dirk Ebeling einen Foulelfmeter zum Anschlusstreffer für die Lehrter verwandeln kann. Doch kurze Zeit später, als der Schlusspfiff ertönt, brechen alle Dämme. Die Preußen sind am Ziel. In Lehrte, auf der Rückfahrt im Bus und auch dann im 07-Sportheim in Hameln feiert das Team ordentlich. Eine Woche darauf wird im Dorfgemeinschaftshaus in Wehrbergen dann mit Eltern und 07-Vorstand eine richtige Aufstiegsfeier ausgerichtet, bevor es Tage später auf die einwöchige (!) Abschlussfahrt nach Mallorca geht.

„Wir haben damals noch nicht so viel an Alkohol gedacht, wirklich wahr“, bekennt „Stöcki“ ehrlich und ergänzt lachend: „Wir haben fast den ganzen Tag am Strand gekickt. Ich habe mir nach ein paar Tagen beim Ballhochhalten einen fiesen Sonnenbrand an den Füßen zugezogen. Die komplette Mannschaft plus Trainer und Betreuer war mit am Start, das war schon echt stark! Uns zeichnete eine ungewöhnliche Kameradschaft aus, wir waren eine verschworene Einheit, noch heute bestehen tiefe Freundschaften.“

Während der Saison wird „Stöcki“ schon bei der einen oder anderen Partie von Erst-Herren-Trainer Franz Genschick ins kalte Wasser der Verbandsliga geschmissen und sammelt erste Erfahrungen bei den „Großen“.

„Wir Jungs vom älteren Jahrgang waren natürlich traurig, nach dem Aufstieg in der Saison darauf die Partien in Osnabrück oder Lüneburg nicht mitmachen zu können, weil wir in die Herren wechselten. Ich bin dann bei einigen Auswärtsspielen einfach mitgefahren. In Braunschweig gab es erhebliche personelle Probleme, da habe ich die Schuhe geschnürt und habe auf einem falschen Pass gespielt, hat keiner gemerkt, kam nicht raus und wir haben 1:1 gespielt“, gibt der elegante Linksfuß fast 30 Jahre später mit einem verschmitzten Grinsen zu.

„Im ersten richtigen Herrenjahr, der Saison 1990/91, war es für mich unter Trainer 'Paule' Hauschild sehr schwierig, ins Team zu rücken – die erste Mannschaft war echt gut besetzt. Ich habe dann samstags in der Reserve in der Bezirksliga gespielt und bin regelmäßig am Sonntag in der Ersten dabei gewesen, meist auf der Bank. In der Zeit habe ich nur für den Fußball gelebt, das Wochenende war komplett für den Fußball getaktet. Samstags sind wir mit der Zweiten nach Bockenem oder Ambergau bisweilen bis in den Vorharz gefahren, sonntags ging es mit der Ersten nach Esens oder Aurich, verrückte Geschichte“, ist „Stöcki“ noch immer verwundert, wie das alles gehen konnte.

„In der Saison 1991/92, Uwe Cording hatte früh den Trainerposten von Günther Hauschild übernommen, bin ich zum Stammspieler in der Liga aufgestiegen. Wir standen die gesamte Serie über unten drin und mussten im Frühjahr zusehen, dass wir den Anschluss ans untere Mittelfeld nicht abreißen ließen, uns stand das Wasser echt bis zu den Ohren. Wir hielten dem Druck dann aber doch stand und schafften eine kleine Serie von fünf ungeschlagenen Spielen und 7:3 Punkten, als der SC Harsum nach Hameln kam. Die Partie gegen Harsum sollte dann für mich 'das Spiel meines Lebens' werden. Ich durfte in der Saison als junger Bursche im Mittelfeld neben den großartigen Ex-Profis Bernd Dierßen und 'Andi' Loges spielen, hatte mit 'Toto' Lorenz, Kai Oswald und 'Matze' Hanses weitere herausragende Mitspieler im Mittelfeld. Ein riesiger Vorteil an dem Tag war, dass wir auf der 'Plastikwiese' antraten. Der alte Kunstrasenplatz war mein zweites Wohnzimmer, da konnte ich meine technischen Fähigkeiten am besten zur Geltung bringen."

„Gegen Harsum lief es bei mir von Beginn an, obwohl 'Andi' Loges früh ausgewechselt werden musste, wie am Schnürchen", erinnert sich Stöck.

Thomas Stöck SC Harsum
Thomas Stöck (mitte) macht gegen den SC Harsum das Spiel seines Lebens. Foto: aus dem privaten Archiv von Stöck.
Eberhard Gräf schreibt am darauffolgenden Montag in der Dewezet: „Bereits nach fünf Minuten zog sich 'Andi' Loges eine Oberschenkelzerrung zu und ließ sich gegen Ansgar Stelzer auswechseln. 'Das hat einen starken Knacks hinterlassen', registrierte Trainer Cording. Wie wichtig Loges nach seinem Comeback wieder geworden ist, wurde deutlich in der fehlenden Ordnung im Hamelner Aufbauspiel, das durch unnötige Fehlpässe immer wieder im Ansatz erstickt wurde. Allein Stöck ließ sich davon nicht beeindrucken. 'Plötzlich läuft es bei mir', freute sich der 20-Jährige, der lange ein Dasein auf der Bank gefristet hatte. Mit technischen Kabinettstückchen, zwei herrlich vorbereiteten Toren und gewaltigen Schüssen aus der zweiten Reihe sorgte er für die wenigen Lichtblicke der gestrigen Partie.Harsums Trainer Peter Forte, dessen Spieler mehr Mühe mit dem Untergrund als mit dem Gegner hatten (“Wettbewerbsverzerrung“, schimpft er), räumte ein, dass sein Team noch glimpflich davongekommen ist. Nur Torhüter Schuster, neben dem unermüdlich rackernden, aber gegen Michael Berger chancenlosen Hoff, auffälligste Harsumer, verhinderte ein Debakel. Er rettete gegen Oswald, Stöck, Schumachers, Klein und Berger, und als er bei Kleins Schuss geschlagen war, kratzte Endrikat den Ball für ihn von der Linie. Die Treffer von Schumachers und Dierßen, jeweils nach glänzender Vorarbeit von Thomas Stöck, schraubten die Erfolgsbilanz der Preußen auf 9:3 Punkte. Erstmals nach Monaten konnten die Schützlinge von Trainer Uwe Cording wieder die Abstiegsplätze verlassen.“

Morgen lest Ihr: Die Fans fordern „Stöcki" und erwirken seine Einwechslung – und der dankt mit Getränken, bezahlt aus seiner Auflaufprämie

Punktspiel Verbandsliga Niedersachsen-Liga

Datum: 05.04.1992

Preußen Hameln 07 - SC Harsum 2:0 (1:0).
Preußen Hameln: Motzner - Schumachers - Scheler - Berger - Lorenz - Dierßen – Hanses (89. Kaufmann) - Loges (6. Stelzer) - Oswald - Stöck - Klein
SC Harsum: Schuster - Endrikat (72. Jordan) - Beneke - Puschmann - Kemnah (74. Pagel) - Wolter - Alpers - Göwecke - Pertile - Zerr - Hoff

Schiedsrichter: Stiehr (Celle)
Zuschauer: 450
Ort: Kunstrasenplatz Hameln
Tore: 1:0 Schumachers (5.), Dierßen (89.)
Beste Spieler: Scheler, R., Stöck - Schuster, Hoff
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