21.04.2020 09:46

Meldung


„Spiel meines Lebens“: Pokal-Halbfinale – Dierßen & S04 spielen 6:6 gegen Bayern!

Das beste DFB-Pokalspiel aller Zeiten / Teil 3 von 4
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Von Oliver Steffan

Bernd Dierßen heute
Bernd Dierßen heute. Foto: privat.
Im Pokal läuft es 1983/84 bei dem späteren Hamelner Preußen Bernd Dierßen und seinen Schalkern dagegen richtig rund: Der Zweitligist besiegt in der ersten Runde Fortuna Düsseldorf mit 3:0, kommt in Runde 2 abermals zu einem 3:0-Erfolg, jetzt in Charlottenburg, bevor im Achtelfinale der Karlsruher SC im Parkstadion mit 2:1 bezwungen wird. Im Viertelfinale muss die Ferner-Elf in Berlin antreten. Bei der Hertha heißt es nach 120 Minuten 3:3, die Schalker holen einen 1:3-Rückstand auf, doch Torjäger Abel erzielt drei Minuten vor Schluss den Ausgleich. Das Wiederholungsspiel auf Schalke gewinnen die Blau-Weißen mit 2:0.

So kommt es am Mittwoch, den 02. Mai 1984 um 20.00 Uhr, zum epischen Halbfinal-Spiel gegen den FC Bayern München – und dieses Duell wird als das beste Pokalspiel aller Zeiten in die Geschichte eingehen...


„Shorty“ Dierßen weiß noch genau: „Im Trainingslager haben wir am Abend zuvor das sensationelle 5:4 nach Verlängerung der Gladbacher gegen Werder verfolgt. Wir waren total beeindruckt von dieser großartigen Partie, konnten ja nicht ahnen, dass wir das Gesehene am nächsten Tag noch toppen sollten. Wir sind als krasser Außenseiter in die Begegnung gegangen, wir, der Zweitligist, gegen den großen FC Bayern und ausgerechnet in diesem für uns so wichtigen Spiel mussten wir mit Manfred Drexler und Jochen Abel verletzungsbedingt zwei absolute Leistungsträger ersetzen. Beim Viertelfinal-Erfolg gegen die Hertha brach nach einem Zusammenprall mit Hertha-Keeper Gregor Quasten Mannis Sprunggelenk. Er musste daraufhin einen Invaliditätsantrag stellen, war dann beim DFB als 'Servicemann' von Adidas in über 350 Länderspielen das 'Mädchen für alles'."

„Im Parkstadion ging es, ähnlich wie im Niedersachsenstadion, erst richtig los, wenn mindestens 40.000 Zuschauer da waren. Gegen die Bayern sollten an diesem 02. Mai 1984 bestimmt 78.000 Zuschauer im Stadion das Spektakel verfolgen. Die Arena fasste zwar nur 70.000 Besucher, aber Rudi Assauer hat bei solch großen Spielen immer ein paar Tausend Karten mehr bei den Stehplätzen verkauft; da war es dann knallvoll und die Stimmung war von der ersten Minute an unglaublich, die Bude hat gekocht,“ leuchten Bernd Dierßens Augen noch heute, wenn er an das große Spiel vor fast 36 Jahren zurückdenkt.

Bernd Dierßen Schalke 04
Bernd Dierßen im Dress des FC Schalke 04.
Dierßen, der die vollen 120 Minuten auf dem Platz steht, schildert das wohl spannendste Spiel seines Lebens aus seiner eigenen Sicht: „Es ging Schlag auf Schlag, die Münchener konnten relativ schnell durch einen Doppelschlag von 'Kalle' Rummenigge und Reinhold Mathy eine 2:0-Führung herausspielen, wir glichen allerdings kurze Zeit später durch Kruse und den gerade 18 Jahre alten Olaf Thon aus. Michael Rummenigge sorgte postwendend für die erneute Führung. So ging es mit einem 3:2 für die Bayern in die Pause. Mitte der zweiten Halbzeit  konnte 'Thöni' mit seinem zweiten Treffer zum 3:3 den Ausgleich erzielen. Dann schafften wir durch einen sehenswerten Kopfballtreffer von Peter Stichler das 4:3. Den Bayern gelang noch einmal der Ausgleich durch Michael Rummenigges zweites Tor und es kam zur Verlängerung. In der 112. Minute unterlief unserem Keeper Walter Junghans, dem Ex-Bayern-Spieler, ein dicker Patzer, er wollte unbedingt eine Ecke vermeiden und der nasse Ball rutschte aus seinen Händen, der eingewechselte Dieter Hoeneß roch den Braten, stiebitzte ihm den Ball weg und schob zum 5:4 ein. Für Walter tat es mir besonders leid. Er war ein überragender Torhüter, total ehrgeizig, wurde immer viel zu kritisch gesehen und parierte auch in diesem Spiel etliche 100-prozentige Chancen – nach der Begegnung wurde nur über diesen einen Lapsus gesprochen. Doch wir schlugen zurück: Nach einer Ecke von rechts, weg von Torhüter Jean-Marie Pfaff, Richtung Elfmeterpunkt, netzte  unser großer Kämpfer Kapitän Bernard Dietz in der 115. Minute zum 5:5 ein, das Stadion war am Brodeln. Es sollte jedoch noch dicker kommen. 'Kalle“ Rummenigge schickte den durchstartenden Dieter Hoeneß, wir waren bei einem eigenen Angriffsversuch zu weit aufgerückt, und der blieb cool und schoss zwei Minuten vor Ende der Verlängerung zum 6:5 für die Bayern ein. Aufgeben gab es für uns an diesem Abend jedoch nicht und dann kam die dritte Minute der Nachspielzeit, die 123. Minute. Wir erhielten einen letzten Freistoß aus dem Halbfeld, Bayerns Mittelfeldspieler Wolfgang Kraus wollte noch wild gestikulierend diskutieren, doch ich schob ihn weg. Ich legte mir den Ball zurecht, Olaf Thon lief an, machte eine Finte und tauchte links weg, ich schoss den Ball flach in den Sechzehner, in der Hoffnung, dass das Leder in dem Getümmel durchrutschen würde. Der Ball wurde abgeblockt, Klaus Augenthaler köpfte den Ball rechts raus und der Rest ist Geschichte – Olaf Thon, der in den Strafraum durchgestartet war, nahm den Ball mit seinem linken Fuß, der rechte war sein stärkerer, volley und drosch das Rund halbhoch mit einem irren Hammer ins lange Eck. Sein dritter Treffer an diesem Abend – Wahnsinn! Jetzt brachen alle Dämme. Schiedsrichter Wolf-Günther Wiesel aus Ottbergen bei Hildesheim beendete die Schlacht und der Jubel und die Freude über diese Leistung und das grandiose Spiel wollten bei uns Spielern und dem fantastischen Publikum nicht enden.“

Bernd Dierßen Schalke Autogrammkarte 85/86
Bernd Dierßens signierte Autogrammkarte als Bundesliga-Spieler aus der Saison 1985/86. Aus dem privaten Archiv von Dierßen.
Der Zweitligist erzwingt damit ein Wiederholungsspiel, da die Statuten des DFB  für Pokalspiele noch kein Elfmeterschießen im Falle eines Unentschiedens trotz Verlängerung vorsehen.

Auf den „Schalker Kalenderblättern“ ist über den 02. Mai 1984 vermerkt:
„Es gibt eine Reihe von magischen Nächten im Parkstadion. Die Heimspiele im UEFA-Cup 1997 gegen CF Valencia oder CD Teneriffa gehören sicherlich dazu. Doch eine Partie überstrahlt alle Gala-Auftritte der Schalker in der riesigen Schüssel: Das 6:6 im DFB-Pokal gegen den FC Bayern München am 2. Mai 1984. Zwölf Tore, acht in der regulären Spielzeit und vier in der Verlängerung. Spannung, Dramatik, Herzklopfen: Der Pokalkrimi lässt niemanden kalt. Vor allem ein Mann wird an diesem Abend zum Messias für die Schalker Anhängerschaft: Olaf Thon macht einen Tag nach seinem 18. Geburtstag das Spiel seines Lebens. Dreimal gleicht er eine Führung der Bayern aus. 'Den würde ich am liebsten sofort mit nach München nehmen, staunt Udo Lattek über den Teenager. Allerdings müsste er sich für dieses Vorhaben mit einer Heerschar von Schalke-Fans anlegen. Die sind nach dem Schlusspfiff so euphorisch, dass sie Thon minutenlang auf den Schultern durch das Parkstadion tragen.“

„Wir sind nach unseren Ehrenrunden, den Sympathiebekundungen und Jubelstürmen der Schalke-Fans eine gute Viertelstunde nach Spielende in die Kabine gekommen, 'Thöni' haben sie erst nach einer Dreiviertelstunde von den Schultern genommen und zum Duschen gelassen“, lacht Dierßen noch heute über die damaligen Ereignisse.
Selbst der Unparteiische Wolf-Günter Wiesel ist damals voll mit von der Partie, erinnert sich Olaf Thon später: „Der Schiedsrichter hat gesagt: 'Komm, noch einen Angriff'. Er hat also mit uns gefiebert – und dann ist tatsächlich noch ein Tor gefallen.“
„Es war vom Ablauf her wohl das dramatischste Spiel, das ich je kommentiert habe“, gesteht später ZDF-Reporter Eberhard Figgemeier. „Aber das eigentliche Drama war, dass es am Ende dieses großartigen Spiels keinen Sieger gab.“

Neue Trikots auf Schalke: Manfred Drexler, Bernd Dierßen, Bernars Dietz, Manager Rudi Assauer und Olaf Thon
Neue Trikots auf Schalke: Manfred Drexler, Bernd Dierßen, Bernars Dietz, Manager Rudi Assauer und Olaf Thon. Aus dem privaten Archiv von Dierßen.
Bei „Wikipedia“ heißt es über das Schalker 6:6 gegen die Bayern:
„Es entwickelte sich 'die bislang wohl dramatischste Pokalpartie in der Geschichte des seit 1935 ausgetragenen Wettbewerbs'. (…) Für Spielmacher Dierßen – eine noch größere Karriere verhinderte für den Freistoßspezialisten die fehlende Grundschnelligkeit – wurde dieses Spiel zu einem der herausragenden Momente seiner Spieler-Laufbahn.“


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Das Wiederholungsspiel am 9. Mai 1984 in München vor 40.000 Zuschauern endet mit einem 3:2 in der regulären Spielzeit für die Bayern. Die Treffer für die Münchener erzielen damals zweimal Karl-Heinz Rummenigge und Dieter Hoeneß, auf Schalker Seite Michael Jakobs und Michael Opitz. In dem Spiel können die Schalker erneut einen 0:2-Rückstand wettmachen, ehe Rummenigge in der 79. Minute den Siegtreffer erzielt. Bayern München wird anschließend DFB-Pokalsieger nach einem weiteren Drama im Finale gegen Borussia Mönchengladbach. Lothar Matthäus schießt in seinem letzten Spiel im Gladbach-Trikot, bevor er zum FC Bayern wechselt, den Ball beim Elfmeterschießen über den Kasten und wird über Jahre mit „Judas-Judas"-Rufen auf dem Bökelberg empfangen. Für Schalkes Mathias Schipper gibt es jedoch Trost: „Dieses Spiel“, sagt der S04-Verteidiger einst, „kann uns niemand mehr nehmen“.

FC Schalke 04 1985/86
Der FC Schalke 04 als Bundesliga-Aufsteiger in der Saison 1985/86. Hintere Reihe v.l.: Zeugwart Simon, Hartmann,Stefan Täuber, Skibbe, Memering,Stichler, Dietz, Co-Trainer Fichtel. Mittlere Reihe v.l.: Schatzschneider, Kruse, Roth, Thon, Regenbogen,Schipper, Jakobs, Masseur Kuipers, Trainer Ferner. Bordere Reihe v.l.: Opitz, Marquardt, Dierßen, Macak, Kunz, Junghans, Kleppinger, Klaus Täuber. Aus dem privaten Archiv von Dierßen. Aus dem privaten Archiv von Dierßen.
„Das, was 'Thöni' schon in jenem Jahr als A-Jugendlicher in seinem ersten Profi-Jahr gespielt hat, war ohne Worte“, ist Dierßen noch völlig aus dem Häuschen angesichts der Qualitäten des späteren Weltmeisters. „Spätestens mit seinem dritten Treffer zum 6:6 hat sich Olaf damals auf Schalke unsterblich gemacht. Er spielte in der ersten Serie und dann auch noch im weiteren Jahr im Sturmzentrum. Für mich ist er, neben Rudi Völler, der kompletteste Stürmer der vergangenen 40 Jahre. Er konnte alles, hatte eine extrem enge Ballführung, drehte sich zu beiden Seiten, zog auf, fintierte und schloss dann mit einer unglaublichen Genauigkeit ab. Wirkungsvoll war er auch in der Luft, mit seinen 1,70 Metern war er ja einer der kleinsten Spieler in der Bundesliga, hatte aber eine sensationelle Sprungkraft und ein Super-Timing. Viel zu früh wurde er ins Mittelfeld und später dann sogar auf den Libero-Posten zurückgezogen – das war echt verschenkt. Die zwar letztlich verpasste Chance auf das Pokal-Endspiel gab uns jedoch für den Rest der Punktspiel-Serie so viel Power, dass wir den Aufstieg locker unter Dach und Fach gebracht haben. Vier Tage nach dem Halbfinale mussten wir nach Wattenscheid zum kleinen Revier-Derby reisen und gewannen 2:0. Wie im Rausch nahmen wir auch noch die Hürden gegen Aachen beim 5:0 daheim, bei Fortuna Köln mit 2:0 und zum Schluss im Parkstadion mit 5:0 gegen Rot-Weiss Essen. Dann war der Aufstieg perfekt und es wurde gefeiert.“

Morgen lest Ihr: Schalke in der ersten Liga, die Rückkehr nach Hannover und Dierßens Wechsel zu Preußen Hameln

DFB-Pokal-Halbfinale Saison 1983/84

FC Schalke 04 – FC Bayern München 6:6 n.V. (4:4, 2:3)
Datum: 2. Mai 1984, 20.00 Uhr

FC Schalke 04: Walter Junghans - Thomas Kruse - Bernard Dietz - Michael Jakobs - Mathias Schipper - Michael Opitz (107. Klaus Berge) - Bernd Dierßen - Peter Stichler - Volker Abramczik (73. Hubert Clute-Simon) - Olaf Thon - Klaus Täuber
Trainer: Diethelm Ferner

FC Bayern München: Jean-Marie Pfaff - Klaus Augenthaler - Norbert Nachtweih - Bertram Beierlorzer - Bernd Dürnberger (77. Dieter Hoeneß) - Wolfgang Grobe (107. Wolfgang Kraus), Søren Lerby - Michael Rummenigge - Hans Pflügler - Karl-Heinz Rummenigge - Reinhold Mathy
Trainer: Udo Lattek

Stadion: Parkstadion Gelsenkirchen
Zuschauer: 71.000, inoffizell: 78.000
Schiedsrichter: Wolf-Günther Wiesel (Ottbergen)
Gelbe Karten: Peter Stichler, Klaus Täuber – Reinhold Mathy, Søren Lerby
Tore: 0:1 Karl-Heinz Rummenigge (3.), 0:2 Reinhold Mathy (12.), 1:2 Thomas Kruse (13.), 2:2 Olaf Thon (19.), 2:3 Michael Rummenigge (20.), 3:3 Olaf Thon (61.), 4:3 Peter Stichler (72.), 4:4 Michael Rummenigge (80.), 4:5 Dieter Hoeneß (112.), 5:5 Bernard Dietz (115.), 5:6 Dieter Hoeneß (118.), 6:6 Olaf Thon (120.+3)

Zu Teil 1

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