19.04.2020 10:41

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„Spiel meines Lebens“: Dierßen-Doppelpack bei 5:5 zwischen 96 & Werder

Bernd Dierßen ist bei einigen der größten Pokal-Klassiker aller Zeiten dabei / Teil 1 von 4
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Von Oliver Steffan

In der heimischen Region ist er der Mann mit den mit Abstand meisten Zweitliga- und auch Erstligaeinsätzen. 247 Mal läuft der in den 80er Jahren zu den besten Technikern und gefühlvollsten Standardspezialisten Deutschlands zählende Bernd Dierßen für den SV Arminia Hannover, Hannover 96 und den FC Schalke 04 in der Zweiten Liga auf, 140 Mal in der Ersten Bundesliga, bevor er sich zur Saison 1990/91 dem Verbandsligisten, der Spielvereinigung Preußen Hameln 07, anschließt. Beeindruckende 27 Treffer gelingen „Shorty“ im Unterhaus, 13 Buden in der Eliteliga, doch die außergewöhnlichsten Leistungen, garniert mit raffinierten Vorlagen sowie spektakulären Toren, zeigt der elegante Mittelfeldspieler im DFB-Pokal und macht auch in den K.O.-Partien ein spitzenmäßiges Spiel und dreieinhalb Jahre später das Spiel seines Lebens. Beim spektakulärsten und besten Pokalspiel aller Zeiten zählt der damals 24-Jährige zu den Protagonisten in einer denkwürdigen Partie...

Mit 14 Jahren, Bernd spielt bei der DSC Feggendorf in der C-Jugend, fällt der Rechtsfuß den Experten bei seinen Auftritten in der Kreisauswahl Springe, vor der Gebietsreform, und dann auch in der Bezirksauswahl mit seinen ausgezeichneten Leistungen auf. „Dieter Rotter, der Coach der Kreis-Auswahl, war ein toller Trainer und ist ein ganz feiner Kerl. Wir stehen nach fast 50 Jahren noch immer im Kontakt.  Der Betreuer der Bezirksauswahl, Horst Gailus, war auch gleichzeitig Jugendobmann bei Arminia Hannover. Arminia war seinerzeit im Jugendbereich und auch Jahre später bei den Herren auf Augenhöhe mit den 96ern. Als 'Jung vom Dorf' war ich natürlich sehr überrascht über das Interesse der 'Blauen' und wechselte dann im ersten Jahr B-Jugend nach Hannover“, kann sich Dierßen noch an die Anfänge seiner Laufbahn erinnern.

Arminia Hannover in der Saison 1979/80
Arminia Hannover in der Saison 1979/80. Hintere Reihe v.l.: Trainer Sztani, Schmotz, Krause, Menges, Roloff,Hoffmann, Brandt, Hasselbruch, Burkhardt. Vordere Reihe v.l.: Genschick, Dierßen, Krüger, Kaiser, Bentrup, Schrader,Rogoznica, Bebensee, Behrends.
„Im zweiten Jahr B-Jugend spielte ich dann bereits in der A-Jugend und als ich das zweite A-Jugend-Jahr erreicht hatte, absolvierte ich schon 24 Spiele unter Trainer Gerd Bohnsack in der Zweiten Bundesliga. Der spätere 96er Norbert Bebensee, Michael Krüger, als Trainer dann ein Weltenbummler, auch Charly Mrosko, der spätere Preußen-Trainer Franz Genschick und Altmeister Eckhard Koss waren bei der Arminia damals meine Mitspieler. Ich spielte als Halbprofi, baute nebenbei mein Abitur und wollte studieren. Drei Jahre war ich mit der Arminia in der Zweiten Liga am Ball, ab 1978 dann als Stammspieler.“

Bernd Dierßen als U21-Spieler.
Bernd Dierßen als U21-Nationalspieler.
International ist der Mittelfeld-Stratege dann in mehreren U-Nationalmannschaften im Einsatz. DFB-Trainer Herbert Widmeyer nominiert das Arminia-Talent erstmals am 12. November 1976 in die U-18-Nationalmannschaft  des DFB beim Länderspiel in Monaco im Rahmen des Prinz-Albert-Pokals an der Seite von Walter Junghans, seinem späteren Kollegen bei Schalke 04, Michael Harforth vom Karlsruher Sport Club und Holger Willmer, der ein Jahr später mit dem 1.FC Köln Deutscher Meister wird. Er nimmt 1977 am UEFA-Turnier in Belgien teil, bei dem die deutsche Vertretung den vierten Platz belegt. Im gesamten Jahr 1977 trägt die DFB-Jugendnationalmannschaft 23 Spiele aus und Dierßen fehlt nur in einer Begegnung. Im Jahr 1978 folgen noch drei weitere Einsätze in der DFB-Jugend und der gebürtige Feggendorfer beendet mit seinem 30. Einsatz am 15. März 1978 beim UEFA-Qualifikationsspiel in Schaffhausen gegen die Schweiz seine internationalen Auftritte in der U18-Nationalmannschaft.
Vom 10. Oktober 1979 bis 22. September 1981 kommt Bernd Dierßen in der Talente-Elf der U21 an der Seite von Thomas Allofs, Uwe Dittus, Stefan Engels, Pierre Littbarski, Lothar Matthäus und Rudi Völler sechs Mal zum Einsatz.

„1980 herrschte nach dem Abstieg in die dritte Liga ein heilloses Chaos in Bischofshol. Mit dem Verbandsligisten TuS Hessisch Oldendorf waren die Vertragsgespräche schon fortgeschritten, ich wollte mein Lehramtsstudium zum Wintersemester '80 in Hannover beginnen und nebenbei Fußball spielen. 96-Trainer Diethelm Ferner wollte mich aber unbedingt verpflichten und nahm mich, ohne Vertrag, in der Saisonvorbereitung mit ins Trainingslager. Dort lief wohl alles ganz ordentlich. Mit einem 'kleinen Vertrag', ich verdiente nicht mal halb so viel wie zuvor bei der Arminia, konnte allerdings mit einer Klausel im Vertrag vormittags studieren und musste nur nachmittags trainieren, wechselte ich zur Saison 1980/81 zu den 'Roten'“, erklärt Dierßen.

„Der Saison-Start verlief ordentlich, allerdings reichte es in den ersten elf Punktspielen sechsmal nur zu einem Unentschieden. Wir standen auf Rang sieben, auf Tuchfühlung zu den ersten Dreien in der Tabelle, Alemannia Aachen, Werder Bremen und dem VfL Osnabrück, und mussten in der zweiten DFB-Pokal-Runde gegen den erstmalig aus der Bundesliga abgestiegenen Liga-Konkurrenten Werder antreten. Es war übrigens eine Mammut-Saison in der damaligen Zweiten Liga Nord mit 22 Mannschaften“, so Dierßen. Gegen den zu Saisonbeginn in die Landesliga aufgestiegenen Niedersachsen-Pokalsieger Borussia Hannover setzt sich das Team um 96-Kapitän und Club-Legende Peter Anders in der ersten Pokal-Runde locker mit 8:1 durch.

Der Freitagabend, 03. Oktober 1980, sollte dann in die noch so erfolgreich werdende 96-Pokal-Geschichte eingehen. „Werder reiste zur zweiten DFB-Pokal-Runde als Favorit von der Weser an die Leine, wollte nach dem Bundesliga-Abstieg den Betriebsunfall gleich korrigieren, wieder zurück nach oben und verpflichtete drei wichtige Akteure mit den beiden Ex-Nationalspielern Klaus Fichtel (35) von Schalke 04, und Erwin Kostedde (34) von Standard Lüttich und dem blutjungen Thomas Schaaf (18)“, weiß Bernd Dierßen noch. „Im alten Niedersachsen-Stadion waren Spiele im Herbst nicht gerade prickelnd, die Atmosphäre war, wenn es regnete, es diesig war, nicht so der Knaller – aber es  dauerte an diesem denkwürdigen Pokalabend unter Flutlicht gegen Werder nicht  lange, bis der Funke vom Feld auf die Zuschauer überspringen sollte. Der 'Lange', Dieter Schatzschneider, brachte uns mit einem Elfmeter in Front und ich konnte mit einem Freistoß in den Winkel schon früh auf 2:0 erhöhen. Ich trat alle Standards und konnte schon als junger Bursche Verantwortung übernehmen. Werders Benno Möhlmann hatte aber schon Minuten später die Antwort und verkürzte auf 1:2.“

Shorty Dierßen und der Lange Schatzschneider - einst ein geniales Tandem bei 96
„Shorty“ Dierßen (li.) und der „Lange“ Schatzschneider - einst ein geniales Tandem bei 96.
„Klaus Fichtels 2:2-Ausgleich Mitte der zweiten Hälfte bedeutete, dass wir in die Verlängerung gehen mussten. Unser Keeper 'Maxe' Rynio machte einen einzigen Fehler an dem Abend, ließ einen 25m-Schuss unten reinrutschen, das war bitter und er war am Boden zerstört. Der Platz wurde immer tiefer und die Kräfte schwanden, doch in der Verlängerung passierte das, was man gern als Pokal-Krimi bezeichnet. Es ging gleich schon richtig los, als Erwin Kostedde die Bremer in der 92. Minute in seiner unnachahmlichen Art per Kopf erstmals in Führung brachte. 'Charly' Mrosko besorgte schlitzohrig den Ausgleich, bevor Jonny Otten Werder wieder nach vorn brachte. Nicht genug, denn wir fighteten zurück und der 'Lange' köpfte zum 4:4 ein. Die Dramatik nahm zu, es wurde immer hektischer. Als ich dann nach einem Doppelpass mit dem 'Langen' per Vollspannstoß in der 117. Minute zum 5:4 traf, jubelten wir wie die Kinder. Ich lief über die Aschenbahn in die Kurve und ließ mich feiern. Wir hatten das Ding doch eigentlich schon im Sack, wollten auf Zeit spielen, den Ball nur noch unters Tribünendach dreschen, doch Rynio hielt den Ball im Spiel. Mit der letzten Aktion des Spiels kam es, wie es kommen musste: Der immer torgefährliche Instinkt-Stürmer Uwe Reinders, nicht unbedingt als Kopfballkönig bekannt, wuchtete eine Rechtsflanke kurz nach seiner Einwechslung zum 5:5 ins lange Eck. Abpfiff. Mist ...“

Oberstufen-Schüler und 96-Fan Ottmar Steffan weiß noch genau wie der Abend ablief: „In den vergangenen 50 Jahren habe ich so viele Spiele gesehen und an die meisten keine genauen Erinnerungen mehr, aber die Begegnung der 96er im Pokal gegen Bremen im Niedersachsen-Stadion, im Herbst 1980, werde ich nie vergessen. Ich war mit einem Schulfreund da, der sein erstes Spiel in einem Fußball-Stadion sehen wollte und wir saßen bei den 'Roten Wölfen', den treuen Fans der Hannoveraner.  Es war ein typisches Pokal-Spiel, in der Verlängerung ging es nur noch hin und her. Es regnete im Verlauf des Spiels unaufhörlich, aber davon haben wir kaum etwas mitbekommen, weil wir die 96-er in einer Tour angefeuert haben. Als Bernd Dierßen kurz vor Schluss mit einem tollen Schuss das 5:4  erzielte, wäre die Kurve um ein Haar explodiert. Die Hannoveraner kamen bald wieder in Ballbesitz, nach einem Rückpass, der Torwart durfte den Ball noch mit der Hand aufnehmen, drosch Keeper Rynio das Leder völlig unmotiviert nach vorn. Ich sagte noch: 'Warum spielt er nicht auf Zeit, es ist doch gleich vorbei!', da segelte der Ball schon wieder quer durch den Strafraum und Reinders köpfte ein, was für eine Katastrophe! Wir saßen, als der Schiri Sekunden später abpfiff, wie die meisten anderen noch eine halbe Ewigkeit im Stadion, waren wie gelähmt, völlig am Ende und konnten nicht aufstehen. Als wir uns dann doch auf den Weg machten, hatten wir keine Stimmen mehr. Nach Mitternacht zuhause angekommen, erzählten wir meinen Eltern in allen Einzelheiten von diesem grandiosen Spiel und mussten erst einmal beruhigt werden, so aufgewühlt waren wir…!“

Morgen lest Ihr: Schalke spielt im besten Pokalspiel aller Zeiten 6:6 gegen den FC Bayern – und Dierßen ist mittendrin...

Zweite DFB-Pokal-Runde Saison 1980/81


Hannover 96 – SV Werder Bremen 5:5 n. V. (2:1, 2:2)

Datum: 3. Oktober 1980, 20 Uhr

Hannover 96: Jürgen Rynio  -  Peter Anders  Gerhard Kleppinger  -  Rainer Scholz  -  Ulf Winskowsy  -  Bernd Dierßen  -  Bernd Gorski  -  Heiko Mertes  -  Karsten Surmann (66. Min. Karl-Heinz Mrosko)  -  Frank Hartmann (94. Min. George Sagna)  -  Dieter Schatzschneider
Trainer: Diethelm Ferner

SV Werder Bremen: Dieter Burdenski  -  Klaus Fichtel  -  Karl-Heinz Kamp  -  Jonny Otten  -  Thomas Schaaf (94. Hans-Jürgen Offermanns)  -  Norbert Siegmann  -  Uwe Bracht (114. Uwe Reinders)  -  Benno Möhlmann  - Klaus Jank  -  Erwin Kostedde  -  Norbert Meier
Trainer: Kuno Klötzer

Stadion: Niedersachsenstadion Hannover
Zuschauer: 11.200
Schiedsrichter: Peter Meijerink (Berlin)
Gelbe Karten: Ulf Winskowsky  -  Jonny Otten
Tore: 1:0 Dieter Schatzschneider (12. FE), 2:0 Bernd Dierßen (18.), 2:1 Benno Möhlmann (19.) 2:2 Klaus Fichtel (64.), 2:3 Erwin Kostedde (92.), 3:3 Karl-Heinz Mrosko (107.), 3:4 Jonny Otten (109.), 4:4 Dieter Schatzschneider (114.), 5:4 Bernd Dierßen (117.), 5:5 Uwe Reinders (120.)
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