12.04.2020 11:01

Meldung


„Spiel unseres Lebens“: „Andi“ Scheler – plötzlich Torwart gegen Schalke

Bei Zwillingen ist es immer eine delikate Aufgabe über gemeinsame, in diesem Fall sportliche, Leistungen zu berichten, wenn beide Burschen sehr gut in ihrem Tun sind, der eine jedoch noch größerer Erfolge gefeiert hat als der andere...
Andreas und Ralf Scheler auf dem Weg in die Herren
Andreas und Ralf Scheler bestritten ihr gemeinsames Spiel des Lebens gegen den FC Schalke 04.
Von Oliver Steffan

Bei Zwillingen ist es immer eine delikate Aufgabe über gemeinsame, in diesem Fall sportliche, Leistungen zu berichten, wenn beide Burschen sehr gut in ihrem Tun sind, der eine jedoch noch größerer Erfolge gefeiert hat als der andere...
Also gehen wir die Aufgabe, am Anfang noch im Gleichschritt, an!


Die Schelers und Dirk Brockmann mit dem ersten Titel
Die Schelers und „Brockel" mit dem ersten Titel. Aus dem privaten Archiv von Scheler.

Im WM-Jahr 1974 schnüren Andreas „Andi“ und Ralf „Ralle“ Scheler gemeinsam mit ihrem Kumpel Dirk Brockmann die Schuhe beim SC Börry. Vater Günter trainiert und formt das Team und bemerkt schon recht früh, welche Rohdiamanten er hier schleift. Nach einem anfänglichen „Schnupperjahr“ in der F-Jugend lehren die Straßenfußballer anschließend jeden Gegner im Kreis Hameln-Pyrmont das Fürchten. Für einige Teams gibt es gehörig was auf die Ohren und teilweise zweistellige Packungen gegen das Stürmer-Trio, bei dem „Brockel“ als Mittelstürmer von rechts von „Ralle“ und links von „Andi“ mit Flanken gefüttert wird. Gemeinsam erzielen die drei Freunde in fünf Jahren weit über 500 Treffer! Eintracht Afferde “borgt“ die drei Ausnahmekicker vom SC Börry bereits Ende der 70er für ein hochbesetztes internationales Turnier bei Eintracht Braunschweig aus und wird erst im Halbfinale gestoppt.

Das Trio wird 1979, durch einen Umzug der „Scheler-Brothers“ nach Hameln, kurzfristig auseinandergerissen. „Brockel“ bleibt noch zwei Jahre in Börry, bevor er „Andi“ und „Ralle“ zur JSG Hameln-Tündern nachfolgt. Auch hier werden die erfolgreichen gemeinsamen Zeiten in den allerhöchsten Spielklassen im Jugendbereich fortgesetzt. Höhepunkte sind die Punktspiele gegen den Bundesliga-Nachwuchs von Hannover 96 und Eintracht Braunschweig in der Saison 1985/86, zu A-Jugend-Zeiten nach dem Aufstieg in die Verbands-Jugend-Liga.

Dirk Brockmann und Andreas Scheler
Dirk Brockmann (li.) und Andreas Scheler - aus kleinen Buben werden Freunde fürs Leben (Foto: Rolf-Henning Schnell).
Ins erste Herrenjahr startet „Andi“ bei der TSG Emmerthal in der Bezirksklasse, während Ralle den schwierigeren Weg in das Verbandsliga-Aufsteiger-Team von Trainer „Fatty“ Wasner wagt. Stolze 21 Einsätze verzeichnet „Ralle“ bereits in seinem ersten Jahr in der vierten Liga, avanciert bereits in der Rückrunde zum Stammspieler, während Spieler wie der damals 30-jährige Ex-Bundesliga-Profi Bernd Thiele (178 Erstliga-Spiele für Schalke und Hannover 96) auf der Bank schmoren…

„Andi“, mit einem ganz feinen linken Füßchen ausgestattet, wagt nach dem Lehrjahr in Emmerthal dann den Schritt nach oben. In der Saison 1987/88 verschlägt es ihn zurück zu seinem Bruder „Ralle“ zu den Preußen. Dort spielen die beiden bis zur Saison 1990/91 gemeinsam in der Verbandsliga. Bereits in der ersten Saison erreichen die beiden mit den Preußen überraschend die Aufstiegsrunde zur Amateur-Oberliga Nord (3. Liga), scheitern jedoch mit 1:11 Punkten krachend und zahlen im jungen Alter von 20 Jahren Lehrgeld.

„Andi“ gelingt in der Aufstiegsrunde in Pinneberg sogar ein Treffer – allerdings ins eigene Netz. Nach einem Eckstoß segelt ein Schussversuch so unglücklich Richtung 07-Tor, dass der jüngere der beiden Scheler-Brüder den Ball nur noch ins eigene Netz abfälschen kann. „Ralle“ erhält nach seinen stabilen Leistungen in Liga 4 im Mai 1988 eine Einladung zur U 21-NFV-Auswahl.

Preussens Zwillinge Andreas und Ralf Scheler
Preußen Hamelns Zwillinge Ralf (li.) und Andreas Scheler (Foto: Rolf-Henning Schnell).
Noch zu Beginn der Saison 1987/88, am 25. Oktober 1987, machen die „Twins“ das Spiel ihres (Bruder-)Lebens, zugegeben ein durchaus kurioses  – und dann auch noch gegen einen der beliebtesten deutschen Vereine, den FC Schalke 04. Zum 80-jährigen Vereinsjubiläum der 07er schaffen es die Preußen-Verantwortlichen um Präsident Karl Strüver und Liga-Obmann Georg „Schorse“ Scholten, 40 Jahre nachdem die Schalker ihre Visitenkarte erstmalig im Weserberland abgegeben haben, den Traditionsclub erneut zu verpflichten.

„Gegen gestandene Bundesliga-Stars und Nationalspieler kicken zu dürfen, war für uns damals schon ein echter Kracher, wir waren gerade mal 19 und bekamen diese tolle Chance“, gestehen die beiden Brüder stolz.

Während Ralf in der ersten Halbzeit die Kreise des Spielmachers, Nationalspielers und späteren Weltmeisters Olaf Thon (ab Sommer 1988 beim FC Bayern München) gewohnt unerbittlich eingrenzt, wartet Andreas noch auf der Ersatzbank ungeduldig auf seinen Einsatz. Die erste Halbzeit verläuft sehr vielversprechend. „Ich war heiß wie Frittenfett, aber auch ziemlich aufgeregt“, erinnert sich Ralf noch heute an dieses für ihn bedeutende Spiel. Trainer „Fatty“ Wasner meinte vor dem Spiel: „Wenn der Thon auf die Toilette geht, dann gehst du hinterher. Zum Glück musste der nicht“, erinnert sich „Ralle“ lachend.

Preussens Scheler gegen Schalke 04
Preußens Ralf Scheler klärt vor seinem Schalker Gegenspieler (Foto: Heinrich Vollmer).
Schalke führt nach einer knappen halben Stunde mit 2:0, alle Anwesenden im Weserbergland-Stadion gehen davon aus, dass die Profis den Viertligisten so richtig abledern und es auch zweistellig ausgehen könnte – weit gefehlt. „Ralle“ Scheler meldet S04-Spielmacher Olaf Thon völlig ab und die beiden „Altvorderen“, Andreas Loges – immer wieder gern gegen Schalke treffend – und Roland Giehr markieren noch bis zur Pause zwei Treffer für die 07er. Somit kommt der haushohe Favorit nach 45 Minuten nicht über ein enttäuschendes 2:2 hinaus. Schalkes Trainer Rolf Schafstall ist so geladen, dass er noch in der Halbzeit aus Frust nach Hause fährt und für den nächsten Tag ein Straftraining ansetzt.

Nach mehreren angekündigten Wechseln bei den Hamelnern rücken die „Königsblauen“ das Ergebnis doch noch gerade. Schrecksekunde für Trainer Wasner dann nach 64 Minuten: Torhüter Siegfried Motzner, zur Pause für „Wolle“ Schultze gekommen, verletzt sich, kann nicht mehr weiterspielen. Bundesliga-Schiedsrichter Thomas Rüdiger aus Bad Salzdetfurth besteht darauf, dass die zuvor vereinbarte Regelung trotz dieses Vorfalls beibehalten bleibt – maximal fünf Wechsel und keine Rück-Einwechselungen darf es geben. Jetzt ist guter Rat teuer: Wer soll in die Hütte gehen

Mannschaftsfoto Preussen Hameln 87 88
Das Mannschaftsfoto von Preußen Hameln in der Saison 1987/88.
Ein dritter Torhüter steht nicht zur Verfügung. Der in der 46. Minute eingewechselte „Andi“ Scheler geht kurz zu Trainer Wasner: „Trainer, ich mach das, ich habe beim Warmmachen letzte Woche schon mal in der Kiste gestanden. Das kriegen wir hin!“ Nach zwei kleineren Paraden zum Einstieg klingelt es dann nur bei den „unhaltbaren Distanzschüssen in den Winkel“, so „Teilzeit-Torhüter“ Scheler. Der angehende Weltmeister Olaf Thon und S04-Legende Rüdiger Abramczyk, der Klaus Fischer einst zum gewählten „Tor des Jahrhunderts“ - per Fallrückzieher - nach Flankenlauf aufgelegt hat, überwinden die Hamelner Torhüter-Entdeckung.

„Als ich den Kindern und Jugendlichen nach der Partie etliche Autogramme gegeben habe, war das sehr komisch. Wahrscheinlich habe ich so stark gehalten“, feixt Andi später. Das tolle Spiel der Hamelner und vor allem die überragenden Leistungen der Akteure in Halbzeit eins rücken in der Berichterstattung am Montag, 26. Oktober 1987 in der Dewezet ein wenig in den Hintergrund, denn die überraschende Demission von Erfolgstrainer Wasner bestimmt den Titel: „Der Knall: Wasner entlassen!“

Interimstrainer Günther „Paule“ Hauschild übernimmt die sich auf Tabellenplatz zwei (!) in der Verbandsliga befindlichen Preußen, bevor der Ex-Oldendorfer Coach Günter Blume verpflichtet wird. Eberhard Gräf kommentiert die Situation der Hamelner: „Bei 07 gärte es schon lange – So ungewöhnlich angesichts des Hamelner Tabellenplatzes für viele diese Maßnahme gekommen sein mag, für Insider stellt sie keine Überraschung dar. Schon länger gärte es in der Preußen-Mannschaft, waren nach enttäuschenden Leistungen Grabenkämpfe innerhalb des Teams ausgebrochen. Von 'Cliquenbildung' war selbst unter Spielern die Rede (...)“

Preußen Hameln - FC Schalke 04


Preußen Hameln: Schultze (46. Motzner/ 64. Rogoznica) -  Schumachers - Kriks, P. (46. Kriks, A.)  - Zimmer - Scheler, R. - Munro - Loges (46. Scheler, A.) - Bicknell - Taylor - Giehr (60. Bildik) - Lehany
Trainer: Reinhard Wasner

FC Schalke 04: Heimen - Hannes - Kruse - Prus - Abramczyk - Mirbach - Giesel - Thon - Berge (46. Min Edelmann) - Götz - Marquardt
Trainer: Rolf Schafstall
Tore: 0:1 Mirbach (5.),  0:2 Götz (29.), 1:2 Loges, A. (36.), 2:2 Giehr (41.), 2:3 Hannes (49.), 2:4 Abramczyk (52.), 2:5 Götz (57.), 2:6 Thon (70.), 2:7 Abramczyk (89.)

Schiedsrichter: Thomas Rüdiger (Bad Salzdetfurth)
Zuschauer: 2.000
Besondere Vorkommnisse: Feldspieler Andreas Scheler ab der 64. Minute im 07-Tor


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Team AWesA
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