10.04.2020 07:32

Meldung


„Spiel meines Lebens“: Hanses mit Rehhagel Meister & gegen Mailänder Weltauswahl!

SV Werder Bremen, SV Meppen und SpVgg Preußen Hameln 07 – fußballerisch hat Christoph Hanses so viel erreicht wie kein Zweiter in dieser Region
Von Oliver Steffan

Christoph Hanses Werder Bremen Deutscher Meister 87 88
In der Saison 1987/88 wurde Christoph Hanses mit dem SV Werder Deutscher Meister. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
Aus dem privaten Archiv von Hanses.Nach dem Gewinn der deutschen Amateur-Meisterschaft mit Werder Bremen im Jahr 1985 tastet „Chris“ Hanses sich immer weiter an die Profis heran, stabilisiert seine Leistungen und wird nun 21-jährig mehr und mehr interessant für höhere Aufgaben.

„Beim FUJI-Casio-Cup auf dem Gladbacher Bökelberg in der Saisonvorbereitung 1986 spielten wir gegen den HSV. Ich hatte Nähe Sechzehner den Ball zugespielt bekommen, Rudi Völler gestikulierte, wollte den Ball haben, ich hatte eine andere Idee, habe den Libero Ditmar Jakobs überlaufen und abgezogen. Uli Stein war noch dran und der Ball klatschte gegen die Latte. Willi Lembke fand die Aktion nach dem Spiel echt stark und frech, Rudi Völler aber nicht und beschwerte sich umgehend bei Rehhagel, was dem 'Lüttschen' denn einfiele, ihn nicht anzuspielen – Majestätsbeleidigung!“, blickt Hanses zurück.

Hanses' großes Verletzungspech

Christoph Hanses Werder Bremen beim Dribbling
Christoph Hanses beim Dribbling im Werder-Trikot. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
„Bei größeren Belastungen meldete sich dann so langsam allerdings das rechte Knie immer wieder mal mit einer leichten Schwellung. Am Anfang habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. Nach dem 5:1-Sieg im Bundesliga-Spiel gegen Bayer Uerdingen im November 1986 schwoll mein Knie dann deutlich mehr an. Eigentlich nur zur Kontrolle wurde in Bremerhaven eine Arthroskopie durchgeführt. Dann aber der Schock für mich: Es stellte sich heraus, dass durch einen Eingriff, den ich als 15-Jähriger in Dörverden vornehmen lassen musste und mir der komplette Außenmeniskus herausgenommen wurde, ich eine Fehlstellung bekommen habe, durch die sich über die Jahre hinweg der Knorpel in meinem rechten Knie außen abgerieben hat. Ich hatte bereits mit 23 Arthrose. Eine Welt brach für mich zusammen. Ich war gerade auf dem Sprung zum Profivertrag. Drei Monate konnte ich nichts machen, habe fast nur gelegen, mit einer Bewegungsschiene, die Tag und Nacht mein Bein automatisch streckte und beugte. Immer auf dem Rücken liegen. Das Schlimmste dabei war auch noch: Ich war 'Bauchschläfer'“, nimmt Hanses die für ihn damals höllische Zeit heute mit Humor.

Deutscher Meister 1988 Werder Bremen Christoph Hanses
Christoph Hanses wurde 1988 mit Werder Bremen Deutscher Meister. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
„Es war tatsächlich keine schöne Zeit und sie hatte wenig mit Fußball zu tun. Aber ich habe mich zurückgekämpft. Als es zum Ende der Serie, im Sommer 1987, um den Profivertrag ging, habe ich – wer hätte das nicht – verschwiegen, wie es mir wirklich geht. Beim Spiel mit den Werder-Amateuren in Göttingen, beim Sieg gegen Göttingen 05, lief es gut für mich, ich habe zwei Tore erzielt, das Knie machte mit, Knorpel gut, Vertrag unterschrieben, fertig!“

„Da das rechte Knie bei der täglichen Belastung ständig schmerzte, versuchte ich das Knie zu entlasten, indem ich mein Gewicht, wenn möglich, auf das linke Bein verlagerte – und hatte irgendwann dann Probleme mit der Achillessehne links. In der Saison 1987/88 bekam ich dann weitere Einsätze in der Bundesliga und im Sommer 1988 wurden wir mit Werder dann Deutscher Meister, spielten in der Saison 1988/89 im Vorgänger der Champions League, dem Europapokal der Landesmeister.“ So absolviert Christoph Hanses im März 1989 in Italien das „Spiel seines Lebens“ und vergisst es natürlich bis heute nicht…

Viertelfinale, Europapokal der Landesmeister: die Mailänder Weltauswahl

SV Werder Bremen Mannschsftsfoto 8990 Christoph Hanses
Werders Mannschaftsfoto in der Saison 1989/90. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
In der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister trifft Werder Bremen auf den DDR-Meister BFC Dynamo Berlin. Nach der 0:3-Abfuhr in Berlin (Thom, Doll und Pastor treffen für den BFC) schafft Werder eines der „Wunder von der Weser“ in den 80er und 90er Jahren und kickt den Serien-Ost-Meister im Rückspiel im Weser-Stadion mit einem furiosen 5:0 (Tore: Kutzop, Riedle, Hermann, Burgsmüller, Schaaf) aus dem Wettbewerb. Durch ein hart erkämpftes 0:0 in Glasgow, in Bremen heißt es durch einen Wolter-Treffer zwei Wochen zuvor 1:0, ziehen die Kameraden um Kapitän Mirko Votava ins Viertelfinale ein.

Gegner in den beiden Partien, die am 1. März 1989 in Bremen und am 15. März 1989 in Mailand stattfinden, ist der italienische Meister AC Milan. Unter Arrigo Sacchi zelebrieren die Italiener den Fußball einer neuen Zeitrechnung, stellen mit Franco Baresi, Paolo Maldini, Carlo Ancelotti, Roberto Donadoni, und den drei frischen niederländischen Europa-Meistern Ruud Gullit, Frank Rijkaard, Marco van Basten und Co. eine Superstar-Auswahl erster Güte. Vor allem das vorher so nie gesehene attraktive und taktisch ausgeklügelte Sacchi-Spielsystem macht den AC Milan zu einer der besten Vereins-Mannschaften aller Zeiten. Arrigo Sacchi prägt einen neuen Offensivstil, den die defensiv ausgerichtete Serie A in dieser Form selten erlebt hat. Er setzt dabei vor allem auf die innovativen Elemente Pressing und Raumdeckung und hat damit auch im europäischen Vergleich Erfolg.

Christoph Hanses in Action
Christoph Hanses in Action. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
Werder muss nach dem 0:0 daheim nun mindestens ein Tor im „San Siro“-Stadion erzielen, um den Sprung unter die besten vier Teams Europas zu schaffen.

Das “San Siro“, das seit 1980 nach dem Tod des großen Milan-Spielers “Giuseppe-Meazza-Stadion“ heißt, platzt an diesem März-Tag 1989 natürlich aus allen Nähten. 71.207 Zuschauer wohnen dem Viertelfinal-Rückspiel bei und feuern den AC Milan von der ersten Minute mit südländischem Temperament lautstark und fortwährend an und verwandeln das „San Siro“ in einen Hexenkessel. „Diese Stimmung war irre geil, wir haben uns warmgemacht und unser eigenes Wort nicht verstanden, so laut war es. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich das nervlich damals durchgestanden habe. Nur in Neapel gegen den SSC mit Diego Maradona war es ein Jahr später noch lauter“, schildert Chris Hanses die damaligen Erlebnisse.

van Bastens umstrittener Elfmeter bringt Entscheidung

Meisterschale Weserstadion Arm in Arm mit Otto Rehhahgel
Christoph Hanses mit der Meisterschale im Weserstadion Arm in Arm mit Otto Rehhahgel. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
„Direkt vor dem Rückspiel in Mailand habe ich unseren Mannschaftsarzt gebeten, eine Spritze an der Archillessehne zu setzen, damit ich schmerzfrei bin. Um meinen möglichen Einsatz am Abend nicht zu gefährden, habe ich Rehhagel von meinen Problemen natürlich nichts erzählt.“

Die Mailänder setzen die Bremer von Beginn an unter Druck. Werders Prunkstück ist in jener Zeit die Abwehr um den kompromisslosen Haudegen Uli Borowka, „den norwegischen Elch“ Rune Bratseth und den eleganten Libero Gunnar Sauer – doch alles läuft planmäßig. Ruud Gullit ordnet das Offensivspiel der „Rossoneri“, Marco van Basten rochiert viel und auch mit Standards sind die Milan-Kicker gefährlich.

Nach einer Ecke in der 30. Minute versuchen die Bremer, die Situation zu klären, Donadoni greift Werders Sauer an, beide fallen und Schiedsrichter Smith zeigt zum Entsetzen der Bremer auf den Punkt.

Die Bild-Zeitung titelt am 16. März 1989: „Skandal im Rückspiel der Bremer in Mailand: Schotten-Schiri Smith pfeift nach Foul von Donadoni an Sauer Elfmeter – aber für Mailand!“

Torjäger Marco van Basten lässt sich die Chance nicht entgehen und verwandelt zum 1:0 für die Nord-Italiener, Keeper „Olli“ Reck ist ohne Abwehrchance.

Hanses' größter & zugleich tragischster Moment

Christoph Hanses Werder Bremen Autogrammkarte
Das Kopffoto von Christoph Hanses bei Werder Bremen. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
Nach der Pause verwalten die routinierten AC-Spieler das Ergebnis nach guter alter italienischer Art, stehen in der Abwehr geschickt gestaffelt und warten auf Bremer Aktionen. Rehhagel reagiert und wechselt zuerst in der 65. Minute das alte Schlitzohr „Manni“ Burgsmüller ein und hofft auf einen Geniestreich des inzwischen 39-Jährigen. Fünf Minuten später nimmt die Trainer-Legende seinen „Turbo“ Hanses zur Seite und teilt ihm mit, dass er gleich reinkomme: „Christoph, setzen Sie ihre Schnelligkeit ein und reißen Sie Lücken in die AC-Abwehr, auf geht`s!“

Hanses kann sein Glück kaum fassen: „Ich dachte, ich träume, aber natürlich wollte ich das Spiel noch drehen, zumindest alles geben, dass wir das eine Tor zum Weiterkommen erzielen.“ „Chris“ Hanses macht Meter, versucht alles, doch die Defensive um den zu seiner Zeit weltbesten Abwehr-Chef Franco Baresi steht. In der Schlussminute knallt es nach einer schnellen Drehung in Hanses' linker Achillesferse – die Sehne ist gerissen.

Kurz darauf beendet Schiedsrichter Smith die Partie, doch da ist Hanses schon vom Platz getragen worden. „In der Kabine wurde festgestellt, dass das Ding komplett durch war. So konnte ich am Flughafen im Duty-Free-Shop die Stange Marlboro noch selbst kaufen. Der Fuß hat zwar nicht mehr richtig reagiert, aber umgefallen bin ich nicht“, erzählt Chris lachend.

Rauchen, Alkohol, Partys: Alle machen es – doch nur Basler sagt es

Christoph Hanses mit Werder Bremen auf der Abschlussfahrt
Abschlussfahrt von Werder Bremen. Aus dem privaten Archiv von Hanses.
„Apropos Rauchen und Alkohol. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als feststand, dass ich zu Werder gehe. Ich habe sofort beschlossen, aufzuhören zu rauchen und gar keinen Alkohol mehr zu trinken. Ich war absolut davon überzeugt, dass das dort nicht erlaubt und möglich ist. Mein Gott, was war ich naiv (lacht)!“

„Den Lebensstil von Mario Basler – ich habe übrigens zweimal gegen ihn spielen dürfen; 1990/91 mit Meppen, als er noch bei Rot-Weiß Essen gespielt hat, und dann im Abschiedsspiel von Jonny Otten '93, als er zu Werder kam –  während seiner Profizeit kennen ja nun alle. So gelebt haben viele, aber er war der einzige, der den Arsch in der Hose hatte und das öffentlich zugegeben hat. Wenn ich an all die Partys denke. Zum Beispiel immer nach dem Freimarkt im Oktober: Wir mussten immer den ersten Montag beim Freimarkt auf die Bühne im Hauptzelt und ein paar Lieder singen, während die Neuzugänge dirigieren mussten. Anschließend haben wir dann gerne auch mal die Nacht zum Tag gemacht. Gott sei Dank gab es noch keine Smartphones wegen Beweismaterial! Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich montagmorgens mal mit dem Taxi nach einer solchen Nacht in die City gefahren bin, um mein Auto abzuholen und an der Stelle plötzlich ein Blumenwagen stand. Der Taxifahrer wusste zwar, wo ich mein Auto finden würde. Aber es wurde richtig teuer...“

AC Milan auf Europas Thron

SV Werder immer auf dem Bremer Freimarkt zu Gast
SV Werder immer auf dem Bremer Freimarkt zu Gast (v.l. Rudi Völler, Mirko Votava, Christoph Hanses, Norbert Meier, Jonny Otten, Manfred Burgsmüller, Thomas Wolter). Aus dem privaten Archiv von Hanses.
„Hätten wir das Rückspiel im Weser-Stadion austragen können, hätten wir realistische Chancen gehabt, ins Halbfinale einzuziehen“, ist sich Christoph Hanses auch 31 Jahre später sicher. Im Halbfinale wird Real Madrid nach einem 1:1 daheim im „Estadio Santiago Bernabeu“ vom AC in Mailand mit 5:0 im „San Siro“ verprügelt.

Gegen Steaua Bukarest gewinnt die Sacchi-Elf im Finale mit 4:0 (zweimal Gullit und van Basten) im Camp Nou in Barcelona und holt den Europapokal der Landesmeister 1989, anschließend den Europäischen Supercup und auch noch den Weltpokal. 1990 gelingt dem AC Mailand die erfolgreiche Titelverteidigung im Europapokal der Landesmeister. Während dieser Zeit wird das Team „Gli Immortali“ („Die Unsterblichen“) genannt.

Morgen lest Ihr: Über Meppen nach Hameln - so kam Hanses zu den Preußen

Viertelfinal-Rückspiel Europapokal der Landesmeister

Saison 1988/89

AC Mailand – SV Werder Bremen


AC Mailand: Giovanni Galli - Franco Baresi - Paolo Maldini - Mauro Tassotti - Carlo Ancelotti - Roberto Donadoni - Frank Rijkaard - Alberico Evani - Angelo Colombo (89. Alessandro Costacurta) - Ruud Gullit - Marco van Basten
Trainer: Arrigo Sacchi

SV Werder Bremen: Oliver Reck - Rune Bratseth - Uli Borowka (72. Christoph Hanses) - Jonny Otten - Gunnar Sauer - Thomas Wolter - Günter Hermann - Norbert Meier - Mirko Votava - Frank Neubarth - Frank Ordenewitz (65. Manfred Burgsmüller)
Trainer: Otto Rehhagel
Tore: 1:0 Marco van Basten (31. Min. FE) 

Schiedsrichter: George Smith (Schottland)
Stadion: Giuseppe-Meazza-Stadion
Zuschauer: 71.207
Gelbe Karten: Sauer, Bratseth, Votava, Reck

Zu Teil 1:

Chris Hanses Teil 1 Vorschau
 
09.04.2020

„Spiel meines Lebens“: „Chris“ Hanses – Deutscher Meister mit Werder-Amateuren

SV Werder Bremen, SV Meppen und SpVgg Preußen Hameln 07 – fußballerisch hat Christoph Hanses so viel erreicht wie kein Zweiter in dieser Region
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