05.04.2020 11:00

Meldung


„Spiel meines Lebens“: „Kriegsähnliche Zustände“ - Schiri Stolpe mittendrin

Unter Stolpe macht der spätere Bundesliga-Schiri Pfeifer seine ersten Schritte / Teil zwei einer Jahrzehnte andauernden Laufbahn
Von Oliver Steffan

Reinhard Stolpe Portrait
Reinhard Stolpe.
Das Spiel seines Lebens ist für Reinhard Stolpe kein Super-Match mit tollen Toren und ekstatisch jubelnden Siegern, keine spielerische Augenweide, sondern eine ausgemachte Treterei.

Auf der Münderaner „Aschewiese“, dem Anger-Hartplatz, treffen am 07. Oktober 1984 die sich zu jenem Zeitpunkt der Saison leistungsmäßig so mittelprächtig präsentierenden Teams des Tuspo Bad Münder II und der SSG Halvestorf/Herkendorf aufeinander. Mit 7:5 Punkten gestartet, haben beide Mannschaften noch nichts gerissen in der Spielzeit, das wird sich auch nach dieser Partie bis zum Saisonende nicht groß ändern.

Von Beginn an entwickelt sich an diesem regnerischen Herbsttag eine nicklige Begegnung. „Der Platz war aufgeweicht und lud zum Grätschen ein“, kann sich Stolpe noch bestens an die Rahmenbedingungen erinnern. Die wie aufgedreht auf dem Feld herumlaufenden Spieler beharken sich in jedem Zweikampf. Den gut 200 Zuschauern gefällt die aufgeheizte Stimmung, sie tragen durch provozierendes Verhalten ihr Scherflein dazu bei, dass es bereits in der ersten Halbzeit zu einigen unschönen Szenen kommt – so entstehen Rudelbildungen, es gibt Meckereien und reihenweise unfaire Aktionen. Schiedsrichter Stolpe versucht zu beschwichtigen, muss jedoch zwei frühe Gelbe Karten zücken und auch noch vor dem Wechsel einen Tuspo-Akteur mit einer Zeitstrafe vom Feld schicken. Obwohl sich Stolpe in der Halbzeitpause mit Tuspo II-Coach Bernd Wollborn und SSG-Trainer Horst Ellebracht austauscht, seine Sicht der Dinge darlegt und die Übungsleiter bittet, die eigenen Spieler zu beruhigen, passiert nach dem Wechsel nichts – im Gegenteil: Jetzt treten die beiden Teams im Minutentakt brutal aufeinander ein.

Auch bei Hallenturnieren immer dabei: Reinhard Stolpe.
Auch bei Hallenturnieren immer dabei: Reinhard Stolpe.
„Ich habe die Mannschaftsführer dann nach einer Stunde Spielzeit noch zu den Bäumen gebeten, weit weg von den pöbelnden Zuschauern, um das Schlimmste zu verhindern, doch nichts half.“

Stolpe muss noch weitere Verwarnungen verteilen, zwei weiteren Spielern Zehn-Minuten-Strafen aufbrummen, um zu guter Letzt die beiden Bad Münder-Spieler Hein und Reichelt sowie Halvestorfs Hoffmann mit der Roten Karte nach einer Tätlichkeit und an Körperverletzung heranreichenden Fouls vom Platz zu schmeißen. Als Stolpe die Begegnung abpfeift, hat das Aufeinandertreffen zweier mittelmäßiger Kreisliga-Teams, das eher an einen Arena-Kampf im alten Rom denn an ein Fußballspiel erinnert, endlich ein Ende.

Dass Bad Münder II die mehr als rustikale Begegnung nach Toren von Betke (2) und Hein bei Gegentoren von Wottke und Feilke schlussendlich mit 3:2 gewinnt, ist Nebensache, scheint eigentlich auch niemanden wirklich zu interessieren an jenem trüben Herbsttag...

Zwei Routiniers mit Pfeife - Günther Wehder und Reinhard Stolpe beim KGS-Christmas-Cup
Zwei Routiniers mit Pfeife - Günther Wehder und Reinhard Stolpe beim KGS-Christmas-Cup.
Am nächsten Tag folgt dann der Skandal Teil II: „Als ich die Schaumburger Zeitung gelesen habe, wären mir beinahe die Gesichtszüge entgleist“, weiß Reinhard Stolpe auch über 35 Jahre nach den damaligen Ereignissen, wie ihm zumute war. Hans-Georg Höger, der 2018 verstorbene langjährige Sportredakteur der Schaumburger Zeitung, notiert am 08. Oktober 1984 in der SZ:
„Der siebte Spieltag in der Kreisliga Hameln-Pyrmont war von der Begegnung Bad Münder II gegen Halvestorf geprägt, in der Schiri Stolpe nicht weniger als dreimal rot, viermal gelb und drei Zeitstrafen gab. 'Er war einfach überfordert, es ist einfach bedauerlich, dass solche Pfeifenmänner in der Kreisliga eingesetzt werden', wurde von den beteiligten Mannschaften erklärt. Das Spiel drohte zeitweise auszuufern...“.
Wumms – das ist schon mal eine Ansage!

„So etwas macht man ganz einfach nicht“, lässt Schiedsrichter Stolpe seine beiden Assistenten wissen – und der gerechtigkeitsliebende Unparteiische lässt sich eine solche Berichterstattung auch nicht bieten. Stinkesauer setzt sich der Unparteiische, der schon viel auf dem Fußballfeld erlebt hat, so etwas jedoch noch nicht, an seine Schreibmaschine und beginnt zu tippen:

Reinhard Stolpe Leserbrief Schaumburger Zeitung
Reinhard Stolpes Leserbrief im Original. Erschienen im Oktober 1984 in der Schaumburger Zeitung.
„In den ersten Tagen nach dem Spiel war ich völlig fertig und psychisch angeschlagen“, gibt der erfahrene `Schwarzkittel` zu: „Was mich aber am meisten geärgert hat, ist die Tatsache, dass die beteiligten Trainer diese unwürdige Veranstaltung als Allerwelts-Spiel abgetan und mich als 'dummen Jungen' hingestellt haben.“

Johann Pfeifer
Machte seine ersten Schiedsrichter-Schritte unter Reinhard Stolpe: Bundesliga-Schiri Johann Pfeifer.
Stolpe pfeift selbstredend weiter, von den beteiligten Personen oder Vereinen keine Reaktion, findet seine „innere Unparteiischen-Mitte“ wieder und ahnt über ein Jahrzehnt später, als sich ein junger Nachwuchs-Schiedsrichter seinem Gespann anschließt, bereits nach kurzer Zeit, welch großes Talent da an der Seitenlinie winkt und seinen Weg machen wird. Johann Pfeifer überzeugt bei seinen ersten Einsätzen dann auch mit der Pfeife. „Ich habe ihm geraten, jedes Spiel anzunehmen, was er kriegen kann, Jugend, Damen, untere Kreisklassen – völlig egal. Hauptsache fix Erfahrungen sammeln. Als Tipp habe ich ihm noch mitgegeben, Ruhe auszustrahlen und an der Körpersprache zu arbeiten“, gibt es nur wenige Hilfen von Stolpe für den Nachwuchs-Referee: „ansonsten war ziemlich schnell klar, dass er alles mitbringt, um ein großartiger Schiedsrichter zu werden. Zudem tritt er stets bescheiden auf,  hat immer die Bodenhaftung behalten und eine prima Erziehung genossen. Dass es Johann bis in die Zweite Liga und als Vierter Offizieller bis in die Bundesliga geschafft hat, freut mich ungemein. Ein Spiel annähernd so wie auf Asche in Bad Münder im Oktober 1984 wünsche ich ihm natürlich im Leben nicht“, schmunzelt der in zig Schlachten gestählte Spielleiter und drückt seinem ehemaligen Schützling weiter die Daumen.
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Team AWesA
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