17.05.2020 09:12

Spiel meines Lebens


Bad Pyrmonts legendäre Meisterfeier: Vier Tage wach!

Durchmarsch in die Bezirksliga / „Entscheidend war, dass wir so großen Wert auf den Charakter gelegt haben“
SpVgg Bad Pyrmont Kreisliga Meister 2002 03
Das Meisterfoto der SpVgg. Bad Pyrmont.
Die Zahlen geben Sölla und seinem ehemaligen Schützling Rihn recht: 111:18 Tore – stärkster Angriff, stärkste Abwehr. Getreu dem Motto: Hinten sicher stehen – und vorne helfen Heetel, Rihn und Majer. Das Offensiv-Trio der Kurstädter schoss 2002/03 alles in Grund und Boden, erzielte zusammen 70 (!) der 111 Tore. „Marco hat Krisztian und mich mit seinen überragenden Pässen gefüttert, jeder kannte die Laufwege des anderen“, so Rihn, der in all seiner Bescheidenheit kaum ein Wort über seine eigenen Qualitäten verliert. Immerhin knipst er in der Meistersaison ganze 25 Mal. Daher hebt Sölla die Qualitäten seines ehemaligen Torjägers hervor: „Torben war kein großer Edeltechniker wie ein Marco Heetel, der wohl zu den besten Fußballern gehört, die je in Hameln-Pyrmont gespielt haben. Aber er wusste, wo das Tor steht und hat sich auf dem Platz zerrissen. Er war eine Führungsfigur und jahrelang mein verlängerter Arm auf dem Rasen. Er hat sich immer voll reingeschmissen und wusste im Sechzehner ganz genau, was er zu tun hatte. Seine Lust auf Fußball war unerschöpflich.“

Und so überrollen die Bad Pyrmont wie eine immer größer werdende Lawine die Kreisliga, erwischt mit sechs Siegen in Folge einen Traumstart. Selbst das 0:0 gegen HSC BW Tündern II (7. Spieltag) oder das 1:1 beim TB Hilligsfeld (10. Spieltag) werfen die Kurstädter nicht aus der Bahn. Im Gegenteil: Danach erreicht die Sölla-Elf erst den Höhepunkt ihrer Schaffenskraft, gewinnt alle 20 (!) darauffolgenden Saisonspiele. Da kann selbst der SV Lachem, ärgster Verfolger der Spielvereinigung und anfangs noch auf Augenhöhe, kaum mithalten – trotz prägenden Fußballern wie Marco Blana, Axel Hahn oder Spielertrainer Dirk Brockmann. Am achten Spieltag kommt es zum ersten Gipfeltreffen, dem ersten richtungsweisenden Kräftemessen der beiden Ligafavoriten. Bad Pyrmont siegt mit 2:0 am Lachemer Haarwege, die Tore schießen Marco Heetel (15.) und Deniz Boztüy (75.). Ein Durchmarsch zeichnet sich ab, doch zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand – selbst die Pyrmonter nicht – mit welch unnachahmlicher Dominanz Rihn & Co. durch das Kreisoberhaus marschieren.

Abschlusstabelle Kreisliga 2002 03
So lief die Kreisliga-Saison 2002/03.
Vor dem 21. Spieltag der Kreisliga 2002/03 ist die Hoffnung dann zumindest da, dass die Meisterschaft irgendwie noch spannend werden könnte. Vorausgesetzt, Lachem siegt im Stadion an der Südstraße beim bis dato unbesiegten Spitzenreiter. Bad Pyrmont hat zu diesem Zeitpunkt bereits 56 Punkte auf dem Konto, Lachem dagegen nur 43 – dafür aber auch zwei Spieler weniger absolviert. Im besten Fall beträgt der Abstand also „nur“ sieben Punkte, mit einem Sieg in Bad Pyrmont sogar vier Zähler.

Die Hameln-Pyrmonter Fußball-Gemeinde wittert noch einmal Spannung im Meisterschaftskampf, 500 Zuschauer pilgern an den Ort des Geschehens, das Stadion an der Südstraße. Während das Topspiel als solches fußballerisch doch einige Wünsche offen lässt, überzeugen die Tore dafür umso mehr – und zwei davon macht Torben Rihn, der seine Elf damit zur so gut wie sicheren Meisterschaft hievt. „Wir wussten: Wenn wir das Spiel gewinnen, sind wir ganz nah dran an der Meisterschaft. Wir waren extrem heiß auf das Spiel. Ich konnte vor dem Spiel nicht schlafen, es war das wichtigste Spiel der Saison und wir haben mit vielen Zuschauern gerechnet“, spürt Rihn ungewohnten Druck. Nach einer torlosen ersten Halbzeit wird es trotzdem sein Spiel: Rihn bringt die Pyrmonter in der 57. Minute in Führung, ehe Markus Wienecke per Strafstoß für den prompten 1:1-Ausgleich sorge. In der Schlussphase setzten sich die Hausherren aber entscheidend ab. Zunächst schweißte der Mann des Tages, Doppeltorschütze Rihn, den Ball nach einer Kopfballabwehr per Volleyabnahme in den Knick (84.), ehe „Zauberfuß“ Marco Heetel das Leder per Freistoß in den Winkel „streichelt“. Endstand: 3:1 für Bad Pyrmont, die Sölla-Elf ist mit 1,99 Beinen in der Bezirksklasse – und lässt sich diese Chance auch nicht mehr nehmen.

Statt einer meisterlichen Arroganz, zeigen die Bad Pyrmont auch nach dem Gipfeltreffern und dem ein paar Wochen später feststehenden Kreistitel meisterlichen Glanz, werden mit 21 (!) Punkten vor Lachem Meister und geben in einer bis heute unerreichten Saison nur vier (!) Zähler ab.

Torschuetzenliste Kreisliga Saison 2002 03
Die Torschützenliste der Kreisliga-Saison 2002/03.
Unerreicht ist übrigens auch die Meisterfeier, die auf dem „Gummiplatz“ hinter der Tribüne steigt. Rihn erinnert sich an vier wilde Tage: „Wir haben ein Zelt aufgebaut und gefeiert ohne Ende. Es war der Wahnsinn, gerade mit den Jungs. Wir haben privat viel miteinander unternommen und durften dann endlich die Meisterschaft feiern. Jeden Morgen haben wir uns bei wem anders getroffen, gemeinsam gefrühstückt und weiter ging's. Alle haben sich frei genommen.“ Mitten drin ist auch Trainer Dirk Sölla. Er ist einer von ihnen: „Ich habe aufgeschlossen und abgeschlossen – und das nicht nur beim Training (lacht).“

Vorbei ist die Erfolgsserie der Pyrmonter aber noch nicht. In der Bezirksklasse 2003/04 gelingt der Spielvereinigung der Durchmarsch, als Aufsteiger wird die Sölla-Elf mit 13 Punkten vor dem VfR Evesen Meister und in der Bezirksliga 2004/05 gelingt den Rot-Weißen fast die nächste Sensation. Hinter Preußen Hameln wird Pyrmont als erneuter Aufsteiger Dritter, kratzt am Landesliga-Aufstieg – es sind Rihn & Co., die den Grundstein für die Rückkehr in Bezirk legen.

Sölla sagt heute: „Entscheidend war, dass wir so großen Wert auf den Charakter gelegt haben und dass wir darauf geachtet haben, dass wir viele Pyrmonter in der Mannschaft haben, die stolz darauf sind, für diesen Verein zu spielen. In der Kreismeister-Saison hatten wir 16 Pyrmonter und drei Lügder im Kader. Wichtig war auch, dass wir den Spaß nicht vergessen haben. In einem Pokalspiel gegen Fatih Hameln haben wir 6:0 geführt, ich habe Torben Rihn ausgewechselt und unseren Torhüter Özcan Karakas gebracht. Er wollte immer mal draußen spielen, hat sich mit drei Toren in elf Minuten bedankt und ich habe ihn wieder ausgewechselt (lacht). Darüber hinaus waren wir mit 16 Spielern im Skiurlaub in Österreich. 14 konnten überhaupt nicht Skifahren, aber irgendwie sind alle heile unten angekommen. Bei der Meisterfeier haben die Spieler in der Kabine geschlafen, um am nächsten Morgen wieder Vollgas zu geben. Wir hatten im Schnitt 250 Zuschauer, sind mit Bussen zu den Gegnern gefahren. Diese Truppe war und ist bis heute einmalig.“

Torben Rihn Germania Hagen bei der SG hameln 74
Bei Germania Hagen spielt Torben Rihn noch einige Jahre in der ersten Herren.
Bald trennen sich die Wege von Rihn und seinem Lehrmeister Sölla – doch 2012 finden die beiden Freunde fürs Leben wieder zusammen. Ausgerechnet beim Lokalrivalen Germania Hagen. „Ich war längst nicht mehr der jüngste Spieler und wollte unbedingt noch einmal unter Dirk spielen. Diese Möglichkeit wollte ich mir nicht nehmen lassen“, sagt Rihn heute. Mittlerweile schaut er sich die Spiele aber lieber von außen an. „Es war eine tolle Zeit, ich habe jedes Jahr in Bad Pyrmont genossen. Deshalb bin auch nie weggegangen. Das Familiäre im Verein war mir wichtig und hätte mir gefehlt. Ich habe unglaublich gerne Fußball gespielt, aber meine Zeit als Spieler ist vorbei. Ich sehe mit die Spieler jetzt als Fan von Bad Pyrmont oder Hagen an.“
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Team AWesA
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