18.03.2020 14:43

Meldung


„Spiel meines Lebens“: Steffans unvergessliche Defensivschlacht

In der Saison 1987/88 schlägt Bezirksligist Afferde völlig überraschend Ramlingen/Ehlershausen / Anschließende Feier mit halb Hameln
SV Eintracht Afferde 1987/88
Der Spielbetrieb des deutschen Fußball ruht aufgrund der Corona-Pandemie bis in die untersten Klassen. Damit ergibt sich also genügend Raum, den Blick schweifen lassen. Die Fußball-Größe Oliver Steffan hat dies ebenfalls getan - und eröffnet die Rubrik „Das Spiel meines Lebens".

Oliver Steffan 2020
Oliver Steffan heute. Foto: privat.
Von Oliver Steffan

Eines vorweg: Es ist natürlich unendlich schwierig, wenn man nach jahrzehntelanger sportlicher Tätigkeit auf seine absolvierten Spiele zurückschaut und sich ein Spiel – das Spiel – des Lebens heraussuchen soll. Unweigerlich fällt der Blick auf die Endspiele, sei es im nervenaufreibenden Abstiegskampf, in siegreich geführten Entscheidungsspielen um den Aufstieg oder auf unvergessliche Pokalendspiele. Der Blick konzentriert sich auf den klassischen „Showdown", die ganz großen Partien.

Wird man dann auch noch als Defensivspieler auf das bedeutendste Match angesprochen, dann würde ein Spiel mit einem selbst erzielten wichtigen Tor doch Sinn machen. Das wäre allerdings, der Position geschuldet, auch unangemessen – Verteidiger haben in Abwehrschlachten, in Spielen mit Dauerbeschuss üblicherweise ihre Spiele des Lebens bestritten, gegrätscht, gekämpft und gewonnen.

So auch hier...
Vor der Saison 1987/88 muss sich Bezirksligist Eintracht Afferde nach den im Jahr zuvor erlittenen Abgängen der überragenden Dubberstein-Brüder, Frank und Bernd, die nach Tündern wechseln und mit Blau-Weiß auch prompt den Aufstieg in die Bezirksliga realisieren, und des langjährigen Mittelfeld-Motors Hermann Meyer, der in die Alten Herren der Eintracht aufrückt, neu aufstellen.

Der 34-jährige A-Lizenz-Inhaber Axel Marahrens versucht, bei seiner ersten Station als neuer hauptveranwortlicher Coach, eine schlagkräftige Mannschaft ins Rennen zu schicken. Mit Jörg Willmer vom SC Börry und Oliver Steffan vom MTV Lauenstein überzeugt der ausgebildete Sportlehrer zwei junge, aber bereits gestandene Kreisliga-Spieler davon, den Zwei-Klassen-Sprung in die Bezirksliga zu wagen. Das neu formierte Team soll sich am Ende der Serie, so das Saisonziel, im Mittelfeld einfinden, vom Abstiegskampf verschont bleiben.

Oliver Steffan 1987
Oliver Steffan im Jahr 1987 – der gut gelaunte Alptraum eines jeden Angreifers. Foto: privat.
Nachdem die Eintracht zum Saisonauftakt bei einem der Meisterschaftsfavoriten, Niedersachsen Döhren, Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre in der höchsten niedersächsischen Amateurliga, der damaligen viertklassigen Landesliga, beheimatet, ein 1:1 erreicht, gelingt daheim gegen den Aufsteiger TuSpo Grünenplan dank eines späten Depping-Treffers ein mühsamer 1:0-Erfolg.

Vor der Partie am dritten Spieltag, am 23. August 1987, beim Tabellenführer SV Ramlingen/Ehlershausen, der nach einem 3:2-Sieg daheim gegen BW Neuhof und einem 4:0-Erfolg beim SV Uetze optimal in die Saison gestartet ist, plagen SVE-Trainer Marahrens arge Personalnöte. Der verletzte Kapitän Peter Hanus, mit seinem „genialen linken Streichlerfuß“ gesetzt im Mittelfeld und auch Abwehrchef Jörg Willmer, er weilt im Kurzurlaub, stehen dem ehrgeizigen Jung-Coach im Burgdorfer Stadtteil nicht zur Verfügung.

Schon beim Warmmachen klappen den Grün-Weißen die Unterkiefer runter: Der Rasen ist kein Spielfeld, sondern ein Teppich. Um den engen Platz drängen sich schon etliche Zuschauer und machen Alarm. Es sollen zum Anpfiff 250 werden, die ihr Team in den folgenden 90 Minuten unentwegt nach vorn peitschen. Pünktlich zum Spielbeginn erreicht Afferdes Urgestein und Edelfan Hermann Schürmann, nachdem er die 76 Kilometer von Afferde gen Norden per Fahrrad zurücklegt, den Ramlinger Sportplatz. Betreuer Günter Paschke beruhigt seine Jungs kurz vor dem Spiel: „Die kochen auch nur mit Wasser, locker bleiben, Männer!“

Oliver Steffan 2003
Oliver Steffan bei seinem Abschiedsspiel in Afferde im Jahr 2003. Foto: privat.
Der Spitzenreiter drängt die Eintracht von Beginn an in die eigene Hälfte, fährt Angriff auf Angriff – doch die Eintracht-Deckung steht, geschickt gestaffelt und taktisch extrem diszipliniert, bombensicher. Der überragende Keeper Stephen Sword, der in der gesamten Saison insgesamt keine zwei Fehler machen wird, ist einmal mehr der große Rückhalt, strahlt Ruhe aus und dirigiert seine Vorderleute lautstark. Das brandgefährliche Ramlinger Sturmduo Cobana/Karus liegt bei den stets bestens postierten und kompromisslos verteidigenden Manndeckern Jens Bönning und Barnim Helmsen an der Kette. Libero Oliver Steffan schließt die Lücken als Libero aufmerksam. Im defensiven Mittelfeld bearbeitet Eintrachts Willi Gurgel den gegnerischen Spielmacher Bertram über die gesamte Spieldauer konzentriert und bringt die Ramlinger Abwehr mit seinen klugen Pässen in die Spitze immer wieder in Verlegenheit. Auf den Außenbahnen machen der schlitzohrige Michael „Seitenschneider“ Libowski und Dieter „Toni“ Donath, in seinem dritten Frühling, Meter ohne Ende und lassen wenig zu.

In der 44. Spielminute wird der pfeilschnelle Jens Rekate nach einem großartig vorgetragenen Konter im Ramlinger Strafraum von den Beinen geholt, der Pfiff des Schiris erfolgt prompt – Elfmeterspezialist Willi Gurgel verwandelt gewohnt sicher und sorgt kurz vor der Pause für die unerwartete Gästeführung.

Nach dem Wechsel lauern Rekate und der gerade 19-jährige Frank „Franzel“ Weiner, der in der Serie zuvor in seinem ersten Bezirksliga-Herrenjahr raketenmäßige 16 Treffer in der Hinserie erzielt, auf Zentimeter genaue Pässe des offensiven Mittelfeldspielers Frank Depping. Regisseur Hansi Nähring setzt immer wieder zu seinen gefürchteten langgezogenen Sprints an. So beruhigen die Afferder das Spiel nach und nach, sorgen Nähring und Co. doch für kräftesparende Entlastung.

Ramlingen drückt immer weiter, fährt nun noch wütendere Attacken und schnürt die Eintracht mehr und mehr ein – doch die Afferder Deckung lässt sich nicht aushebeln, wehrt sich erfolgreich. Minütlich versuchen die fanatischen Ramlinger Zuschauer jetzt den Schiedsrichter, bei Duellen zwischen den Afferder Verteidigern und den Ramlinger Stürmern, zum Strafstoßpfiff zu beeinflussen. Der Pfiff bleibt jedoch aus. Mitten in die  größte Drangperiode der Gastgeber hinein schockt Frank Weiner das Team von SVR/E-Trainer Manfred Fricke empfindlich: In der 75. Minute sorgt der blonde Vollblutstürmer mit einem gefühlvollen Heber aus der Distanz für das so wichtige 2:0 der Eintracht, die mitgereisten grün-weißen Fans geraten völlig aus dem Häuschen.

Axel Marahrens und Manfred Fricke
31 Jahre nach dem Afferder Sieg in Ramlingen treffen sich die beiden Ex-Trainer Axel Marahrens (Eintracht Afferde) und Manfred Fricke (SV Ramlingen) auf dem Ramlinger Sportgelände wieder... Foto: privat.
Aus stark abseitsverdächtiger Position markiert Ramlingens Sturmführer Karus in der 80. Minute den 1:2-Anschlusstreffer, der Eintracht-Deckung stehen nunmehr zehn bange Minuten bevor. Der für Donath eingewechselte „Youngster“ Jörg Schulz stemmt sich gemeinsam mit seinen Kameraden gegen den drohenden Ausgleich. Immer wieder schaffen es Helmsen, Steffan und „Turm“ Bönning, den Ball aus der Gefahrenzone zu schlagen. Beim sehnsüchtig erwarteten Schlusspfiff liegt sich das Eintracht-Team jubelnd in den Armen. Der Schiedsrichter, arg von den Ramlinger Zuschauern angegangen, flüchtet in den Eintracht-Bus, zieht sich dort um und wartet bis sich der Mob aufgelöst hat, bevor er die Heimreise antritt.

Der nicht einmal in den kühnsten Träumen erhoffte Auswärtssieg wird zuerst im Eintracht-Bus gemeinsam mit den Fans gefeiert – inklusive Radfahrer Hermann Schürmann, der sein Fahrrad in den Bus packt, um bei seinen Jungs zu sein. Am Abend steigt schließlich eine große Party mit halb Hameln auf dem städtischen Bürgerfest, auf dem die Afferder dank der erstklassigen Kontakte des gewieften SVE-Mangers Norbert Jäkel in den 80er und 90erJahren einen Bierwagen bewirtschaften dürfen.

Im anschließenden Heimspiel bezwingen Steffan & Co. den BV Werder Hannover durch einen Depping-Treffer mit 1:0, ehe sie am fünften Spieltag durch einen 2:0-Erfolg, Torschützen Nähring und Depping, beim starken Aufsteiger BW Tündern mit 7:2 Toren und 9:1 Punkten die Tabellenführung übernehmen.

Am 27. Spieltag landen die Marahrens-Schützlinge, zweitplatziert, daheim einen grandiosen 2:1-Erfolg über den Spitzenreiter SV Linden. Bei den Gesprächen über die Vertragsverlängerung in den Tagen nach dem unerwarteten Coup überwerfen sich Manager Jäkel und Trainer Marahrens, der anschließend seinen Abschied zum Saisonende verkündet. Das Team kassiert, absolut frustriert und fortan total verunsichert, in den letzten drei Begegnungen drei Niederlagen und verabschiedet sich aus dem Aufstiegsrennen. Die beiden erstplatzierten Teams, der SV Linden 07 und der vom ehemaligen HSV- und Ajax Amsterdam-Profi Peter Lübbecke als Spielertrainer gecoachte SV Alfeld, steigen auf – eine Punkteausbeute von 3:3 Zählern hätte der Eintracht zum Aufstieg in die Bezirksoberliga gereicht...

Der damalige Coach Axel Marahrens, darauf angesprochen, dass das AWesA-Team dieser Tage eine Rubrik „Das Spiel meines Lebens“ herausbringen würde und wir uns als Fußballer doch ein paar Gedanken machen sollten: „Meins kennst du ja. Bei dir würde ich sagen, dass das doch wohl das Ramlingen-Spiel aus dem Sommer 1987 gewesen sein muss!“ Recht hat er, der gute Axel...
76 / 76

Autor des Artikels

Team AWesA
Team AWesA
Das Team AWesA stellt Euch die aktuellsten Sportnachrichten aus Hameln-Pyrmont kostenlos zur Verfügung. Bei Fragen und Anregungen kannst Du uns gern kontaktieren. Schickt ihr uns Infos, bereiten wir diese zu vollwertigen Artikeln auf.
Telefon: 05155 / 2819-320
info@awesa.de

Webdesign & CMS by cybox