06.09.2018 13:25

Leichtathletik


„Was bedeutet gewinnen?“ - Marahrens schafft das Ironman-Triple

„Freude, Tränen, Erleichtung, Stolz – es gibt keine passenden Worte.“ / „'Du musst nichts, sondern du darfst und kannst es.'“

Dritter seiner Klasse: Axel Marahrens hat sein Ironman-Triple mit „Bronze" gekrönt.
„Was bedeutet gewinnen?“ Simple Frage, simple Antwort. „Besser zu sein als alle anderen“, sagt ihm ein Freund. Alles andere habe im Sport doch keinen Wert. Dieser Satz lässt ihn nicht los. Er beschäftigt ihn. Ist das wirklich alles? Axel Marahrens ist Sportler, seit er denken kann – doch ging es ihm immer nur ums Gewinnen? Seine Konkurrenz auszustechen? Es ist ihm anzusehen, wie er einen inneren Konflikt austrägt. Es „rattert“ förmlich in ihm. Dann setzt er zur Antwort an. „Das ist nicht alles“, unterstreicht er mit Vehemenz.

Marahrens hat seinen „Schweinehund“ zum Chihuahua degradiert


Axel Marahrens präsentiert mit seiner Frau Sabine die Trophäe.
Ostern 2018. Für Athleten bedeutet der Frühling vor allem: Blut, Schweiß und Tränen. Harte Trainingseinheiten zehren an Körper und Geist. Alles für den Erfolg. „Sportler ticken da etwas anders“, weiß Marahrens. „Sie brauchen diese Anstrengung. Die Marathonläuferin Uta Pippig hat einmal gesagt: 'Das Schönste am Training ist die Dusche danach.' Wenn du völlig erschöpft unter Dusche stehst und dir sagst: Ich habe meinen inneren Schweinehund überwunden. Die Schmerzen gehen vorbei. Was bleibt, ist körperliche und mentale Stärke.“ Marahrens' „Schweindehund“ ist mittlerweile von einer Deutschen Dogge zu einem Chihuahua degradiert worden. Seine zwei Ironman-Trophäen in der Vitrine untermauern das. 2015 wagt er sein Debüt in Kopenhagen – und er schafft es. Trotz gesundheitlicher Probleme. Zwei Jahre später überkommt ihn wieder dieses Verlangen, sich selbst in den absoluten Grenzbereich zu treiben. Er meldet sich für den Ironman in Hamburg an. Er schafft es wieder – trotz erneuter Probleme. „Ich habe einen Großteil der Laufdistanz mit einem Muskelfaserriss absolviert. Das waren ungeheure Schmerzen“, erinnert sich Debeka-Versicherungskaufmann Marahrens. Die Frage, ob er es ein drittes Mal versuchen will, beantwortet er im September letzten Jahres vielsagend: „Ich weiß es nicht. Das Verlangen kann wiederkommen.“ Er ahnt es bereits: Sein Hunger ist nicht gestillt. Über Ostern gibt Marahrens seinem Verlangen nach. Das Triple soll her. Und zwar da, wo alles begann: in Kopenhagen.

„Ich habe Bilder im Kopf, die mich antreiben"


Auf ins kühle Nass.
„Ich habe mit meinem Trainer Dr. Andreas Mosel den Trainingsplan überarbeitet. Wir haben die Tempoeinheiten reduziert und dafür mehr Höhenmeter eingeplant. Ich werde nicht mehr schneller. Zum Ausgleich wollte ich sicherstellen, dass ich möglichst große Distanzen absolviere, ohne dabei zu schnell an meine absoluten Grenzen zu gehen. Der Ironman ist ein Ausdauer- und kein Sprintwettbewerb. Das Wichtigste ist aber: Man darf niemals den Spaß und sein Ziel aus den Augen verlieren", skizziert Marahrens die Optimierungen seiner 20-stündigen Trainingswoche. Auch an der Ernährung haben die beiden geschraubt. „Wir haben die japanische Wasserkur eingeführt. Ich habe morgens drei, vier Gläser Wasser getrunken, nichts gegessen und dann angefangen zu trainieren. Erst danach habe ich meine erste Mahlzeit zu mir genommen. Das hat ganz neue Impulse gesetzt." Immer wieder motiviert sich Marahrens selbst, den strikten Trainingsplan zu verfolgen. „Ich habe Bilder im Kopf, die mich antreiben. Andere haben in meinem Alter schwere Operationen und sind krank. Ich habe das Glück, dass ich kerngesund bin. Der temporäre Schmerz geht vorbei. Dieses Privileg möchte ich nutzen."  Bewusste „Mogeleien" gehören dazu. „Man sollte die angenehmen Seiten des Lebens nicht gänzlich vernachlässigen. Es gibt doch nichts schöneres, als sich nach einer Radfahrt nach Bad Oyenhausen in ein Café zu setzen und sich ein Stück Kuchen zu gönnen. Das ist Lebensqualität." Der Trainingsplan habe ihm Selbstvertrauen gegeben. „Natürlich machst du dir Gedanken, ob du beim dritten Mal wieder Probleme bekommst. Der Plan gibt dir aber die Gewissheit, dass du dich bestmöglich vorbereitst, um genau das zu vermeiden. Auch der Austausch mit anderen Sportlern hilft enorm. Der Hamelner Schwimmer Simon Rosenbaum hat mir beispielsweise nützliche Tipps gegeben, die mir weiter geholfen haben. Zusätzlich war die Resonanz meines Umfeldes einmalig. Alle haben mich darin bestärkt, es wieder zu versuchen. Das ist ein einzigartiges Gefühl." So fliegen die Wochen vorbei – bis zum 18. August. Noch eine Nacht,  bis die Morgenröte den großen Tag ankündigt. Am Abend zuvor erreicht ihn ein Brief. „Mein Sohn Vincent konnte leider nicht mitreisen. Aber er hat mir ein paar Zeilen geschrieben." Marahrens zitiert: „'Papa, ich bin sehr stolz auf dich – so einen Papa zu haben, der so etwas macht. Bei jedem Armzug, bei jeder Radumdrehung und bei jedem Schritt bin ich bei dir.' Das war die allergrößte Motivation." Was ihm diese Worte bedeuten, ist ihm anzusehen.

„'Du musst nichts, sondern du darfst und kannst es.'“


Axel Marahrens mit seinem „Raumschiff" auf zwei Rädern.
Es ist soweit. Ehe Marahrens sich versieht, steht er in Neoprenmontur am Schwimmstart. 3,86 Kilometer schwimmen liegen vor ihm. „Ich gehe in einen mentalen Tunnel und mache Trockenübungen, um direkt in meinen Schwimmrhythmus zu kommen. Im letzten Winter habe ich mir den Dreierzug angeeignet, um den Kraftaufwand zu minimieren. Das hat mir Sicherheit gegeben." Alle vier Sekunden begeben sich sechs Athleten in die künstlich angelegte Lagune im Amager Strandpark. Dann ist Marahrens dran – und er bewältigt die über 3.800 Meter in 01:18:30 Stunden problemlos. Grund zur Euphorie bietet das Überstehen dieser Distanz allerdings nicht – es ist erst der Anfang, der geschafft ist. „Man muss im Kopf hellwach sein und den Übergang zum Radfahren möglichst reibungslos überstehen. Ich habe den Wechsel gut vorbereitet und hatte daher keine Probleme. Außerdem muss man nach über einer Stunde im Wasser den Kreislauf im Griff haben", erzählt der DFB-A-Linzenz-Inhaber, der sich anschließend auf die 180,2 Kilometer lange Radstrecke macht – einmal von Hannover nach Hamburg bitte. Schier endlose Kilometer auf dem „Drahtesel". Wobei Marahrens' Fahrrad eher einem Raumschiff gleicht. „Mein Freund und Sponsor Stefan Ladage hat mir sein hochmodernes Rad geliehen. Hinzu kommt, dass die Strecke in Kopenhagen wunderschön ist. Du hast Meerblick und viele Höhenmeter. Das ähnelt dem Weserbergland. Leider gab es in diesem Jahr viele Baustellen. Man muss es nehmen, wie es kommt." Ärgerlich: Marahrens kassiert eine Fünf-Minuten-Strafe. „Alles muss aus Eigenleistung bewältigt werden. Im Windschatten fahren, ist also verboten. Der Überholende muss daher genügend Distanz zwischen sich und den anderen Teilnehmer bringen. Während ich einen Energieriegel gegessen habe und gerade eine kurze Erholungsphase hatte, hat sich der andere Radfahrer direkt vor mich geschoben. Kurz darauf habe ich die Blau Karte gesehen und eine Zeitstrafe bekommen – eigentlich zu Unrecht. Ich habe das schnell abgehakt. In diesen Momenten darf man nicht mit so etwas hadern." Stattdessen rief er sich einen Satz von seinem alten Weggefährdten Reinhard Lohne ins Gedächtnis. „'Du musst nichts, sondern du darfst und kannst es.' Es ist ein Privileg, beim Ironman mitzumachen. Das habe ich mir ins Gedächtnis gerufen. Ich habe beschlossen, diese fünf Minuten im Endspurt aufzuholen." Nach 06:06:03 Stunden war es geschafft – naja, nicht so ganz.

„Freude, Tränen, Erleichtung, Stolz – es gibt keine passenden Worte.“


40 Years Of Dreams.
Es lagen noch 42,195 Kilometer Laufdistanz an. Ein Marathon zum „Auslaufen". Für einen Ironman kein Problem – oder? „Beim Laufen fängt es an, überall weh zu tun. Es geht nur noch über den Willen. Ab der 21 Kilometer-Marke habe ich Seitenstiche bekommen, die ich zum Glück nach einem Kilometer wieder losgeworden bin." Die Beruhigung für alle Leser: Diese „Verrückten", die solche Leistungen vollbringen, sind also auch nur Menschen. Vier Runden à ca. zehn Kilometer. Dann heißt es: The next Ironman is... „Nach 32 Kilometern habe musste ich kämpfen. Mein Wunsch, unter 13 Stunden zu bleiben, hat mich angetrieben. Zudem geben einem die zahlreichen Zuschauer, die Freunde und die Familie, die dich am Streckenrand begleiten, unglaublich viel Kraft. Das kann man nur verstehen, wenn man es erlebt hat. Wenn du dann die letzte Runde läufst und siehst, dass andere noch weniger Runden absolviert haben, erkennst du, dass es nur noch ein bisschen ist. Jeder Meter wird zum Erfolg." Nach 04:45:52 Stunden Marathon folgt der wichtigste Schritt: der über die Ziellinie. Sekunden später realisiert er es. Die zahllosen Stunden der Vorbereitung, der Entbehrungen, aber auch die Opfer, die seine Frau Sabine für ihn gebracht hat – alles für diesen einen Moment. „Die Emotionen überkommen dich. Freude, Tränen, Erleichterung, Stolz – es gibt keine passenden Worte.“ Noch größer wird die Euphorie, als er seine Zeit sieht: 12 Stunden, 45 Minuten und 52 Sekunden. Dritter Platz in seiner Altersklasse, der Traum vom Podium wird wahr – der Traum von Hawaii allerdings nicht. „Darüber hätte ich mich gefreut, aber das ist kein Weltuntergang. Ich bin einfach froh, dass ich meine Ziele erreicht habe“, betont Marahrens und bedankt sich bei seiner Familie. „Individualsport geht nur, wenn du Menschen hast, die dich unterstützen. Ich möchte mich ganz besonders bei meiner Frau bedanken, die mich unglaublich unterstützt und mich zu Hause entlastet hat, aber auch bei allen Freunden und Unterstützern – danke!“

Was heißt denn nun „gewinnen“?

Die eingangs gestellte Frage ist noch nicht beantwortet: Was bedeutet gewinnen? Wahrscheinlich fliegen Marahrens all diese Erinnerungen durch den Kopf. All die Anstrengungen, die Disziplin und die Opfer. Endlich findet er die Worte: „Gewinnen bedeutet nicht, der Beste zu sein. Gewinnen heißt, sich selbst zu besiegen. Sich ein Ziel zu setzen und sich gegen den eigenen Körper und Geist zu behaupten. Seine Ängste zu überwinden. Wenn du dieses Ziel erreichst, hast du gewonnen. Man muss niemandem etwas beweisen – nur sich selbst. Ob im Sport, im Privatleben oder im Beruf. Das bedeutet gewinnen.“ Weise Worte von einem Mann, der es wissen muss.
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Autor des Artikels

Jannik Schröder
Jannik Schröder
Jannik stieg nach seinem Praktikum vor einigen Jahren neben dem Studium als Freier Mitarbeiter bei AWesA ins Boot – und ist nach seinem Master-Abschluss in Germanistik und Geschichte seit Oktober 2015 Chefredakteur.
Telefon: 0176 - 6217 6014
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