05.03.2024 14:14

Interview


Von Bad Münder in die 1. Bundesliga: FCH-Gesicht Kevin Müller im XXL-Interview!

Freut Euch im ersten AWesA-Interview des 32-jährigen Stammkeepers der Heidenheimer auf einen Blick in die Vergangenheit, den Weg nach oben und eine Menge Emotionen

Er ist eines der Gesichter des 1. FC Heidenheim: Seit mittlerweile mehr als acht Jahren trägt Kevin Müller das Torwart-Trikot der Süddeutschen. Bereits seit Juli 2015 steht der gebürtige Rostocker beim Klub aus Baden-Würtenberg zwischen den Pfosten – nur Trainer-Instanz Frank Schmidt gehört schon länger zum festen Bestand des 1. FCH. Jetzt mag sich der eine oder andere fragen: „Schön und gut. Doch was hat das mit unserem Lokalfußball in Hameln-Pyrmont zu tun?“ In Wahrheit sogar ziemlich viel, denn was die wenigsten wissen: Das Fußballspielen lernte die Bundesliga-Stammkraft ausgerechnet bei uns im beschaulichen Weserbergland – genauer gesagt bei der TuSpo Bad Münder, die vergangene Woche mit dem sportlichen Rückzug und dem anschließenden doch hoffnungsvollen Ausblick auf die neue Saison selbst turbulente Zeiten hinter sich hat. Einst hat sich der 1,90m-Hüne sogar selbst im digitalen Gästebuch der Kurstädter verewigt. Von den ersten Ballerfahrungen auf dem Deister-Rasen zum herzergreifenden und dramatischen Last-Minute-Aufstieg in die Bundesliga im vergangenen Sommer – eine solche Reise bleibt für die meisten Fußballer aus Hameln-Pyrmont wohl nur ein feuchter Traum. Doch Müller ist der große Sprung geglückt. Über Rostocks Jugendabteilungen in der DDR, Stuttgart II und Energie Cottbus begann die große Laufbahn bei den Heidenheimern. Und heute stellt Kevin Müller mit dem süddeutschen Traditionsverein die deutsche Bundesliga-Elite vor Herausforderungen. Freut Euch im ersten AWesA-Interview des 32-Jährigen auf einen Blick in die Vergangenheit, den Weg nach oben und eine Menge Emotionen.

Kevin, seit einer gefühlten Ewigkeit gehörst Du zum festen Stamm des 1. FC Heidenheim. Im Sommer bist Du ins neunte Jahr bei den Baden-Würtenbergern gegangen. Was verbindest Du persönlich mit dem 1. FC?
„Wenn man so lange im Verein ist, schätzt man besonders die Verbundenheit zu den Menschen, die hart arbeiten. Natürlich steht an erster Stelle das Trainerteam, bestehend aus Trainern, Co-Trainern, Torwarttrainern und Athletiktrainern – all jene, mit denen man täglich interagiert. Doch auch das Team außerhalb des Spielfelds, einschließlich Physiotherapeuten, Zeugwarte und Teambetreuer, trägt dazu bei. Der tägliche Umgang über die Jahre ist einfach schön. Man kennt einander, versteht die individuellen Denkweisen und erleichtert so viele Aspekte des Alltags. Neben dem unmittelbaren Umfeld des Teams schätzt man auch die Zusammenarbeit mit den Menschen im Verein, sei es in der Geschäftsstelle, am Ticketschalter oder denjenigen, die den Betrieb täglich am Laufen halten. Es ist einfach schön, über eine so lange Zeit mit den gleichen Menschen zu arbeiten. Die gemeinsamen Erfahrungen machen viele Dinge einfacher, und man kann sich aufeinander verlassen. Heidenheim ist nun schon seit sehr langer Zeit unser Zuhause und hat viele private Aspekte mit sich verbunden. Meine Frau arbeitet hier und ist fest verwurzelt, auch unser Kind geht hier zur Schule. Es ist wichtig, dass die Familie ein gutes Umfeld hat, und das ist definitiv hier der Fall.“

Du kommst ursprünglich aus Rostock, hast auch nahezu die komplette Jugendlaufbahn bei den Hanseaten durchlaufen. Einen Zwischenstopp hast Du 1997/98 aber auch im beschaulichen Weserbergland gemacht. In diesem Zeitraum gingst Du für die Deister-Fußballer der TuSpo Bad Münder an den Start. Wie ist es dazu gekommen – und auf welcher Position hast Du angefangen?
„Ursprünglich wird Rostock immer meine Heimat bleiben. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir zwei Jahre im sogenannten ‚Westen‘ gewohnt. Das kam hauptsächlich daher, dass mein Vater beruflich umziehen musste, einfach aus arbeitstechnischen Gründen in der Region tätig war. Das fiel genau in die Zeit, als ich mit dem Fußballspielen begonnen habe. Daher habe ich in Bad Münder angefangen, das Fußballspielen zu erlernen. In Bezug auf meine Position: Ich war schon immer Torwart. Ich bin einfach zu faul zum Laufen, das habe ich damals auch gesagt. Ich werde nicht müde zu betonen, dass ich mich dafür nicht schäme, denn das Verfolgen des Balls war nie mein Ding. Für mich war es immer cooler, Torwart zu sein, als irgendwo vorne Tore zu schießen. Deshalb habe ich als Torwart angefangen, und hoffentlich höre ich auch als Torwart auf. Es war auf jeden Fall eine schöne Zeit, die ich dort hatte. Diese zwei Jahre waren wirklich sehr schön. Ich habe die Zeit wirklich genossen und habe viele schöne Erinnerungen daran. Es war definitiv richtig cool.“

Letztlich hast Du als kleiner Bub nicht lange in Bad Münder gelebt, ehe Du mit Deiner Familie weitergezogen bist. Wie behältst Du diese kurze Phase Deines Lebens in Erinnerung?
„Es war eine sehr kurze Zeit, aber nichtsdestotrotz bin ich dort in der ersten und zweiten Klasse zur Schule gegangen. Es war eine intensive Zeit, auch weil es eine Art Neuanfang für uns als Familie war. Ich habe davor relativ wenige Erinnerungen an Rostock, aber dennoch habe ich als Kind natürlich gespürt, dass sich etwas verändert hat und meine Eltern sich erst einmal zurechtfinden müssen. Dementsprechend war es eine sehr, sehr schöne Zeit. So ganz kleine Dinge, wie mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren – ich könnte den Weg noch einigermaßen gedanklich nachzeichnen. Auf der anderen Seite haben wir oft nach der Schule Fußball gespielt. Daran kann ich mich natürlich auch noch gut erinnern. Es war eine wirklich sehr schöne Zeit.“

In den folgenden Jahren warst Du zurück in Deiner Heimat Rostock und hast bei den Hanseaten alle Altersklassen durchlaufen. Wann hast Du gemerkt, dass es mit dem Beruf Fußballer etwas werden könnte?
„Die Aussicht darauf, dass der Beruf des Fußballprofis für mich Realität werden könnte, war ab dem Zeitpunkt, als ich nach Rostock zurückgekehrt bin, durchaus möglich. Ab der 4. Klasse in Mecklenburg-Vorpommern musste man sich entscheiden, welche Schulrichtung man einschlagen möchte – Realschule, Gymnasium oder andere Optionen. Die DDR hatte definitiv etwas Gutes: Sie verfügte über sehr gute Sportschulen. Das System dahinter war sehr durchdacht und ich hatte das Glück, an einer ehemaligen Sportschule der DDR aufgenommen zu werden. In jeder Klasse gab es eine Gruppe von Leistungssportlern, darunter Fußballer, Handballer, Schwimmer, Ruderer und Leichtathleten. Wir hatten sogar ein- bis zweimal pro Woche Training beim Verein, was die Möglichkeit bot, die Zeit noch intensiver zu nutzen. Die Kehrseite dieser Entscheidung war, dass die Schulzeit von zwölf auf 13 Jahre verlängert wurde. Dennoch konnte man dies gut mit dem Schulstoff in Einklang bringen. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete ich darauf hin, den Beruf des Profifußballers ausüben zu können. Ab der U17 und U19 wurde es ernster, da spielte man in den Bundesligen der jeweiligen Altersgruppe und maß sich mit anderen. Es gab eine gewisse Erwartungshaltung und man musste lernen, mit dem Druck umzugehen. Ab diesem Zeitpunkt benötigte man auch das nötige Glück, gesund zu bleiben, die richtigen Trainer zur richtigen Zeit zu haben, die einen einsetzten und Aufmerksamkeit schenkten. Eine gehörige Portion Glück gehörte definitiv dazu. Daher freue ich mich einfach, dass es so gut geklappt hat.“

Über Stuttgart II und Energie Cottbus folgte im Sommer 2015 der Wechsel zu den Heidenheimern, die ein Jahr zuvor den Aufstieg in die 2. Bundesliga gefeiert haben. Wie blickst Du heute auf diesen Schritt zurück?
„Mit dem Alter kommt natürlich auch die Reflexion über die Schritte, die man gegangen ist, und die Entscheidungen, die man getroffen hat. Man fragt sich, ob man sich vielleicht anders hätte entscheiden sollen oder ob es Entscheidungen gibt, die man im Nachhinein bereut. Ganz ehrlich gesagt, bereue ich wirklich keine einzige Entscheidung, die ich getroffen habe. Überall, bei jedem Verein, den ich durchlaufen habe, habe ich wirklich sehr liebe und herzliche Menschen kennengelernt. Diese haben mich nicht nur als Persönlichkeit extrem geformt, sondern auch als Profifußballer, wofür ich sehr dankbar bin. Natürlich gab es Phasen, in denen es nicht einfach war und viele Unsicherheiten bestanden. Man musste die eine oder andere Entscheidung gut abwägen, ohne direkt zu sehen, ob sie gut oder schlecht war. Die Wege und Entscheidungen, die wir als Familie getroffen haben, finde ich in Ordnung und gut so. Es bringt nichts, auf viele Entscheidungen zurückzublicken, da man sie nicht rückgängig machen kann. Damals haben wir nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, auch mit dem nötigen Bauchgefühl, aber im Endeffekt bin ich froh über alle Entscheidungen. Sie haben den Weg geebnet, auf dem ich jetzt stehe, und ich bin zufrieden mit dem, wie es jetzt ist. Ich habe wirklich tolle Menschen kennengelernt, die mich sowohl menschlich als auch fußballerisch weiterentwickelt haben.“

Am 28. Mai 2023 hast Du mit gemeinsam mit dem 1. FC Geschichte geschrieben: Heidenheim stieg zum ersten Mal in die Bundesliga auf. Der Weg dahin war aber so kurios wie kaum ein anderer: HSV und Darmstadt sahen schon fast wie die sicheren Aufsteiger aus, da Ihr gegen Regensburg zwischenzeitlich mit 0:2 zurücklagt. Mit Treffern in der 93. und 99. Minute (!) habt Ihr aber doch noch den dringend notwendigen 3:2-Sieg eingefahren und Euch so sogar die Meisterschaft gesichert. Wie ist Dir der Moment in Erinnerung geblieben, als der Abpfiff ertönte und feststand, der 1. FC Heidenheim ist in die Bundesliga aufgestiegen?
„Das ist natürlich ein, wenn nicht das größte Karriere-Highlight bis jetzt in meiner Laufbahn. Um solche Emotionen nachvollziehen zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass für viele Spieler ein Aufstieg oft die einzige Möglichkeit ist, in der Bundesliga zu spielen. Es gibt zwar Spieler, die es trotzdem irgendwie in die Bundesliga schaffen oder sogar schon vorher Bundesliga gespielt haben, aber speziell in meinem Fall, ab etwa Februar oder März, als es wirklich in die entscheidende Phase ging, hatte ich persönlich das Gefühl, es ist jetzt oder nie. Entsprechend baut sich natürlich auch ein gewisser Druck auf, dem man gerecht werden möchte, und man möchte sich einfach den persönlichen Traum erfüllen können. Natürlich möchte man auch allen anderen helfen, von Spielern über Trainer und Funktionsteams bis hin zu allen, die im Verein arbeiten, und den Fans der Stadt, die sich darauf gefreut haben. Es gibt natürlich eine große Erwartungshaltung. Und als man dann sieht, dass man eine schlechte erste Halbzeit spielt und nach der Halbzeit relativ schnell 0:2 hintenliegt und über diverse Kanäle hört, dass der HSV seine Hausaufgaben in Sandhausen auf jeden Fall erledigt, war das natürlich ein kurzer Schockmoment. Es war definitiv ein Tiefschlag, den man erst einmal verdauen muss. Aber ich denke, wir haben es als Mannschaft extrem gut aufgefangen. Klar, dann das 3:2 und die Augenblicke danach waren einfach unfassbar emotional und sehr intensiv. Freude darüber, was man erreicht hat, Stolz, ein bisschen Demut darüber, wie schwer der Weg dahin war, ein Stück Trotz und auch eine Art Genugtuung gegenüber den Kritikern, die einem gesagt haben, dass es eh nichts mit Bundesliga wird – all das entsteht in solchen Momenten. Aber in erster Linie war es einfach Freude, Begeisterung und auch eine gewisse Erleichterung darüber, dass man das geschafft hat, wofür man so lange hart gearbeitet hat. Die Entbehrungen, die Familie und Freunde teilweise mitmachen mussten, um das zu ermöglichen, sind einfach unfassbar. Es war ein Mix aus Emotionen nach dem Spiel – Freude, Tränen, man wusste gar nicht so richtig, wie man damit umgehen soll.“

Seit dem Sommer hältst Du nun den Kasten der Heidenheimer im deutschen Fußball-Oberhaus sauber, hast bisher nicht eine einzige Minute verpasst. Und auch die Punkteausbeute kann sich sehen lassen. 28 Punkte und Rang elf in der Tabelle lautet die derzeitige Zwischenbilanz – für einen Aufsteiger sicherlich kein alltäglicher Einstand. Was war für Dich das Highlight bis zur Winterpause?
„Das Highlight der Saison zu benennen, finde ich immer ein wenig schwierig. Grundlegend ist es natürlich eine neue Liga für uns und dementsprechend stellt sich die Frage nach einem Highlight. Es ist jedoch schwierig, weil wir keine Touristen sind. Wir fahren nicht durch Deutschlands schönste Fußballstadien, bewundern sie und sagen: ‚Wow, das ist ein schönes Teil.‘ Es hat auch einen geschäftlichen Aspekt, den wir erfüllen müssen. Unsere Aufgabe ist der Klassenerhalt, das Sammeln von so vielen Punkten wie möglich. Das ist harte Arbeit und wir merken Woche für Woche, dass wir an unsere Grenzen gehen müssen, um erfolgreich zu sein. Deshalb ist der Begriff ‚Highlight‘ für mich immer ein wenig schwierig. Es klingt nach einer Stadtrundfahrt, nach dem Anschauen von allem. Sportlich gesehen kann man das vielleicht ein wenig abschwächen und von einer Wichtigkeit oder Bedeutung der Spiele sprechen. Natürlich sind die Heimspiele für uns immer von großer Bedeutung. Das merken wir auch im Umfeld. Ein Heimsieg gegen den VfB Stuttgart, bei dem viele Menschen sagen, das war auch emotional wichtig, ist für uns natürlich ein Highlight. Aber genauso sehe ich ein 2:2 in Dortmund am Freitagabend nach einem 0:2-Rückstand als Highlight an. Ein weiteres Highlight war ein 1:0-Sieg in Mainz, was beileibe kein einfaches Auswärtsspiel war. Dort mussten wir uns wirklich strecken und ich finde, dass dies einen Schritt nach vorne in unserer Entwicklung zeigt. Ein solches Spiel über die Bühne zu bringen, besonders auswärts gegen einen Mitkonkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt, ist aus meiner Sicht sportlich betrachtet eher ein Highlight. Auch wenn viele Leute vielleicht sagen, es war kein schönes Spiel, aber für uns war es ein Erfolg. Im Grunde genommen ist jedes Spiel für uns ein Highlight, denn es ist die 1. Bundesliga, das Non-Plus-Ultra des Fußballs in Deutschland, und somit muss jedes Spiel für uns eigentlich ein Highlight sein.“

Als Fußballprofi sammelt man sicherlich so manche Erfahrung, die für Außenstehende wie ein Traum wirkt. Gibt es trotzdem diesen einen Moment in Deiner Karriere, den Du in Deinem Leben nicht mehr vergessen wirst – und wenn ja, welcher?
„Fußballerisch betrachtet ist der Aufstieg natürlich ein absolutes Highlight. Das ist das Ziel, auf das man hinarbeitet. Jeder, der in der dritten Liga spielt, möchte in der zweiten Liga spielen, und jeder, der in der zweiten Liga spielt, strebt die Bundesliga an. Es ist zwar nicht das Ende der Entwicklung, aber es ist definitiv ein bedeutendes Ziel, wenn man bedenkt, woher man kommt, welche Ausbildung man genossen hat und aus welchem Verein man stammt. Für mich war die Bundesliga immer das große Ziel. Daher kann man hier wirklich von einem Highlight sprechen, von einem sehr bedeutenden Moment. Ich muss jedoch auch sagen, dass Spiele im DFB-Pokal immer cool waren. In einem Jahr sind wir bis ins Viertelfinale gekommen, haben gegen den FC Bayern München gespielt, das war natürlich ebenfalls ein Highlight. Persönliche Auszeichnungen, wie zweimal die meisten Zu-Null-Spiele in der zweiten Liga, vor allem letzte Saison in Verbindung mit dem Aufstieg, sind für mich ebenfalls extrem wichtig. Sie sind eine Anerkennung für die Arbeit, die man leistet, und gehören genauso zu diesen besonderen Momenten dazu, wie der Aufstieg und die DFB-Pokal-Spiele. Es gab also überall Highlights, die diese Reise gespickt haben. Ich hoffe, dass noch viele weitere schöne Momente folgen werden. Ich bin sehr optimistisch und glaube, dass wir auf einem guten Weg sind.“
3 / 478

Autor des Artikels

Jannik Schröder/Robin Besser
Jannik Schröder/Robin Besser
Jannik und Robin haben diesen Artikel in Zusammenarbeit geschrieben.
Telefon:
info@awesa.de

Webdesign & CMS by cybox