16.06.2020 12:48

Das Weserbergland-Wunder


Nach dem „kleinen" Wunder Klassenerhalt: Niemand hat Preußen auf dem Zettel

Die Hamelner verbocken Pokal-Quali / 07 nach Fast-Abstieg ein Verbandsliga-Statist
Preußen Hameln 07 - Saison 1992 1993 - Weserbergland Wunder Klassenerhalt
Preußen Hameln 1992/93. Hintere Reihe v.l.:  Ralf Scheler, Thorsten Lorenz, Matthias Hanses, Christoph Hanses, Ludwig Castaldo, Kai Oswald, Anthony Brown, Stefan Eidinger. Mittlere Reihe v.l.: Betreuer Charly Schaper, Manager Arno Karnau, Betreuer Klaus Pusch, Jens Bönning, Dirk Schumachers, Thomas Stöck, Ansgar Stelzer, Ralf Fehrmann, Enrico Borghese, Tobias Kießlich, Trainer Uwe Cording, Co-Trainer Klaus Kipke. Vordere Reihe v.l.: Betreuer Jens Schmidt, Bernd Dierßen, Matthias Jahn, Siegfried Motzner, Uwe Quindt, Markus Wysocki, Physiotherapeut Thomas Schmitter. Foto: Aus dem privaten Archiv von Thomas Stöck.
Die Hamelner Preußen atmen durch: In der Saison 1991/92 gelingt den 07ern in der Verbandsliga der „Last Minute“-Klassenerhalt, lange schwebt Abstiegsgespenst in bedrohlicher Haltung über dem Weserberglandstadion – doch Trainer Uwe Cording und seine Mannschaft schaffen ein nicht mehr für möglich gehaltenes „kleines“ Wunder.

Auf der Schlussgeraden der Spielzeit 1991/92 ist es nicht gut um Preußen bestellt. Das Wasser steht den 07ern bis zum Hals, der Abstieg droht. Und dann kommt es am drittletzten Spieltag zum Duell mit dem direkten Konkurrenten TSV Verden. Ein Sieg würde Blick auf das Saisonfinale wesentlich erleichtern – doch es kommt alles anders. Hameln verliert in Verden, rutscht auf einen Abstiegsplatz, mit einem Zähler Rückstand auf den TSV. Doch das Hamelner Elend scheint kein Ende zu nehmen. Am nächsten Spieltag bekommen die Hamelner von der SpVgg. Aurich vor heimischer Kulisse richtig Haue, werden mit 3:8 aus dem eigenen Stadion geballert. Die Dewezet reimt: „Schaurig! 3:8 gegen Aurich!“ Parallel holt Verden einen Punkt bei Arminia Hannover (0:0), hat vor dem letzten Spieltag zwei Punkte Vorsprung und ist mit eineinhalb und dreiviertel Beinen am rettenden Ufer angekommen. Ein Zähler reicht dem TSV im letzten Duell gegen VfV Hildesheim, um den Klassenerhalt perfekt zu machen.

Die Ausgangslage für Hameln scheint aussichtslos. Der Abstieg droht nicht nur, er ist so gut wie sicher. Der wohl einzige verbliebene, scheinbar unbelehrbare Optimist in diesen Wochen ist Trainer Cording. Mit Durchhalteparolen wie „Wir schaffen es“, „Noch ist alles drin“ oder „Wir haben das Schicksal selbst in der Hand“ wirkt Cording fast schon, als fahre er mit der Titanic geradewegs auf einen Eisberg zu, dabei hofft er aber, dass der Eisberg dem Schiff noch ausweicht.

Und letztlich kommt es doch alles anders, als wahrscheinlich jeder Fußball-Kenner außer Cording glaubt: Preußen gelingt der zu diesem Zeitpunkt sensationelle Klassenerhalt. Die letzte Chance, der Druck kann größer nicht mehr sein, es geht um alles und in der eigenen Hand haben es die Kicker um Cording nicht mehr. Während Hameln beim Schlusslicht VfR Langelsheim zu Gast ist, empfängt Verden den VfV Hildesheim. Die Ausgangslage: Preußen muss gewinnen, Verden muss verlieren – und die Rechnung geht auf...

Verden unterliegt den Domstädtern zuhause überraschend mit 1:2, der TSV kann es nach Abpfiff selbst kaum glauben. An diesem denkwürdigen letzten Spieltag steht Michael Menge, heute Trainer des Hildesheimer Kreisligisten TuSpo Lamspringe, bei den Hildesheimern zwischen den Pfosten. Er erinnert sich an ein verrücktes Verbandsliga-Finale: „Für uns ging es höchstens um die Goldene Ananas, nach oben und nach unten war nichts mehr möglich. Wir sind mit einem kleinen Kader nach Verden gefahren und haben einen engen Platz vorgefunden, mit zahlreichen lautstarken Zuschauern, die den Klassenerhalt feiern wollten. Für mich war es die erste Verbandsliga-Saison und in der Rückrunde habe ich nicht viel gespielt. Dieses letzte Saisonspiel war für mich eigentlich nicht mehr als ein kleines Schmankerl.“ Und dann kommt alles ganz anders. „Verden hat Druck ohne Ende gemacht, aber wir haben zwei Tore geschossen und eine richtig gute Leistung gezeigt. An diesem Tag habe ich ein sehr gutes Spiel gemacht, abgesehen von dem Elfmetertor habe ich keinen Ball mehr reingelassen. Nach dem Spiel haben uns die am Boden zerstörten Verdener fragend angeguckt, warum wir so ein Bombenspiel gemacht haben.“

Parallel schießt Hameln seinen Gegner Langelsheim mit 4:1 ab, dank der Tore von Heiner Klein (2), Andreas Loges und Kai Oswald. Anschließend kennt der Jubel keine Grenzen mehr, Klassenerhalt dank der Hildesheimer Schützenhilfe, Hameln ist weiterhin Verbandsliga. Das „kleine“ Wunder für das ganz große Weserbergland-Wunder ist unter Dach und Fach, abgedreht, niedergeschrieben.

Hamelns Trainer Uwe Cording weiß, bei wem er sich nach dem geglückten Klassenerhalt zu bedanken hat. Der damalige VfV-Keeper Menge verrät: „Am Tag nach dem Spiel bekam ich einen Anruf von Uwe. Er hat mich zu Preußens Testspiel gegen Borussia Dortmund eingeladen, mit VIP-Ticket, frei essen und frei trinken. Mich hat's natürlich gefreut (lacht) und wir haben uns immer gefreut, wenn wir uns gesehen haben. Da sieht man mal wieder, wie eng Glück und Pech beieinander liegen, zumal Preußen in der Folgesaison eine Bombensaison gespielt hat und sogar aufgestiegen ist.“

Doch kehrt die Ernüchterung bereits im ersten Pflichtspiel der Folgesaison umgehend zurück: Schon in der Qualifikation zur ersten Pokalrunde auf Verbandsliga-Ebene müssen sich die „Rattenfänger“ aus dem Wettbewerb verabschieden. Gegen die Hänigser Friesen setzt es vor heimischer Kulisse eine 1:3-Pleite. Hänigsens Trainer Weis zeigt sich zufrieden: „Ich will diesen Sieg nicht überbewerten, aber wir scheinen in der Vorbereitung schon weiter als die Hamelner.“

Insbesondere nach dem Seitenwechsel scheinen die Hamelner Kräfte zu schwinden, zumal Ex-Profi Christoph Hanses verletzt ausgewechselt werden muss – damit fehlt der Cording-Elf in der Offensive die Durchschlagskraft, die Defensive der Friesen verlebt einen insgesamt ruigen Nachmittag. Letztlich siegt Hänigsen 3:1 – und Trainer Weis wiegt sich in einer trügerischen Sicherheit. Denn das Aufeinandertreffen am ersten Spieltag in der Verbandsliga wird anders verlaufen...

Ohnehin wird Hameln im Vorfeld der Saison 1992/93 als Statist eingestuft, maximal wird den Preußen eine Rolle als die „große Unbekannte“ zugesprochen – kein Wunder nach dieser Vorsaison. Favoriten sind andere Teams: Insbesondere die SpVgg. Aurich sowie der TuS Blau-Weiß Lohne werden ganz hoch gehandelt. Lohne verstärkt sich im Sommer 1992 auf mehreren Positionen, merzt alle ausgemachten Schwachstellen mit neuen Personal aus und Aurich ist trotz der namhaften Abgänge von Braun und Harms weiterhin stark besetzt – unter anderem mit Steffen Baumgart, der 25 Jahre später den Trainerposten des SC Paderborn übernimmt und den Verein in die Bundesliga führt.

Darüber hinaus muss der Viertligist aus dem Landkreis Hameln-Pyrmont einen Abgang hinnehmen: Heiner Klein wechselt für 11.000 DM zum drittklassigen Oberligisten TSV Havelse, will sich in einer höheren Liga versuchen – dort läuft es sportlich aber nicht wie erhofft. Havelse spielt gegen den Abstieg und Klein sitzt häufig auf der Bank. Schon bald nähern sich die Preußen und Klein wieder an...

Hamelns Übungsleiter Cording hat übrigens neben Aurich auch TuS Esens und den BV Cloppenburger auf der Aufstiegsliste, strebt mit seiner eigenen Elf einen Platz im oberen Mittelfeld an – mit dem Abstieg will bei den Preußen keiner mehr etwas zu tun haben.

Preußen Hameln - Friesen Hänigsen 1:3 (0:0).

Hameln: Motzner, Schumachers, Borghese, Bönning, Lorenz, Matthias Hanses, Christoph Hanses (52. Castaldo), Oswald, Stelzer (66. Brown), Eidinger.
Tore: 0:1 Pappas (63.), 0:2 Buchhop (80.), 1:2 Eidinger (84./Strafstoß), 1:3 Eigentor Matthias Hanses.
Zuschauer: 200

So tippt Hamelns Trainer Uwe Cording den ersten Verbandsliga-Spieltag:
Esens – Wolfenbüttel 3:0
Hänigsen – Hameln 0:2
Wilhemshaven – Braunschweig A. 2:0
BW Lohne – Lüneburger SK 1:1
Steterburg – SpVgg. Aurich 1:2
VfV Hildesheim – SC Harsum 0:0
Hannover 96 A. - VfL Stade 2:0
Arminia Hannover – Delmenhorst 3:1
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