15.07.2024 18:25

Sportmix


100km-Megamarsch - Kuska erfüllt sich einen Traum

Eine Reise durchs Weserbergland - und durch das innere Ich
Bastian Kuska 100 Kilometer Megamarsch Weserbergland
Gequälte Freude: Bastian Kuska nach 85km auf der Pagenburg. Foto: privat.
Mal eben 100 Kilometer. Zwei Marathons plus ungefähr 15.000 Meter, nur eben gehend. Oder zu Fuß von Hameln nach Hannover, wieder zurück und dann noch irgendwie 6 Kilometer vertreten. Beispiele, um die Absurdität eines 100 Kilometer langen Fußmarschs zu unterstreichen, gibt es genug. Trotzdem versteht niemand, der sie selbst nicht gegangen ist, die Tragweite einer solchen Distanz. Selbst trainierte Athleten scheitern an dieser magischen Marke. Ex-Kreisligakeeper Bastian Kuska aber nicht.

Der Mann mit der leicht angegrauten Mähne hat sich tatsächlich dem Megamarsch Weserbergland gestellt. Und ihn gemeistert. Dabei scheiterte er im Jahr 2023 noch nach rund der Hälfte der Strecke. „Letztes Jahr im Frühling bin ich mit meinem Bruder drauf gekommen und wir haben uns angemeldet. Wir wollten es einfach mal versuchen“, sagt Kuska, der jedoch nach 50 Kilometern die Segel streichen muss. Dabei ist selbst diese Strecke bereits eine echte Ansage. „Schnell war klar, dass ich die 100 Kilometer schaffen will“, so Kuska, der sich prompt in diesem Jahr wieder angemeldet hat. Und er hat aus seinen Fehlern gelernt: „Durch den ersten Lauf wusste ich, was ich falsch gemacht habe. Letztes Jahr hatten wir viel zu viel Gepäck dabei. Und wir haben letztes Jahr keine Höhenmeter trainiert. Dabei leuchtet einem ja schnell ein, dass das Weserbergland durchaus hügelig ist (lacht). Ich habe mich in diesem Jahr nicht umfangreicher vorbereitet, nur bin ich diesmal die Höhenmeter gegangen. Daher war ich auch zuversichtlich, dass ich dieses Jahr deutlich mehr als 50 Kilometer schaffe.“
Bastian Kuska 100 Kilometer Megamarsch Weserbergland
„Grüß dich, Werner“ - Bastian Kuska (in rot) voller jugendlicher Zuversicht. Foto: privat.
Am Morgen des 15. Juni frühstückt Kuska, fährt ein bisschen Fahrrad, macht ein Nickerchen. Dann gibt’s noch zwei Teller Nudeln. Kohlenhydrate müssen sein. Rechtzeitig fährt ihn sein Vater zum Startpunkt am Marktplatz in Rinteln. Um 16 Uhr geht’s los. „Zum Glück war ich in der ersten Startgruppe und musste nicht lange warten“, meint Kuska, der sich im VfB Hemeringen-Trainingsanzug, einer Mischung aus Turn- und Wanderschuh, speziellen Socken, die Blasen vorbeugen sollen, und dem nötigsten Proviant auf den Weg macht. Nur der Helm mit Lampe fehlt. „Den hat mir Peter Reese in Emmerthal vorbeigebracht.“ Das vorweg: Die „Spezialsocken“ halten ihr Versprechen nicht. „Schon vor dem Start war ich im Tunnel und diesen habe ich bis zum Zieleinlauf nicht mehr verlassen. Ich bin ein Tempo gegangen, das ich selbst bei den viel kürzeren Trainingsmärschen nicht gegangen bin“, staunt Kuska über sich selbst.

Bastian Kuska 100 Kilometer Megamarsch Weserbergland
Bastian Kuska folgt seinen beiden erfahrenen Taktgebern durch Hameln. Uhrzeit: ca. 23.30 Uhr. Foto: privat.
Die Kilometer purzeln und bei rund 20 Kilometern, eine Halbmarathondistanz und immerhin ein Fünftel geschafft, findet Kuska zwei betagte, dafür umso beeindruckende Herren und hängt sich dran. „Einer von ihnen war 70 Jahre alt, der andere war in einem ähnlichen Alter. Sie hatten ein gutes Tempo, daher konnte ich mich gut an den beiden orientieren.“ Weitere Kilometer ziehen ins Land, Kuska marschiert, marschiert, marschiert. Ab der 60er Marke wird es dunkel, ein Wald liegt vor dem Mann, der seine Vorjahresleistung bereits deutlich übertroffen hat. „Bei der Verpflegungsstation in Fischbeck habe ich dann geschaut, dass ich in der Dunkelheit nicht alleine durch den Wald tappe. Also habe ich mich weiterhin an die beiden Herren gehalten. Irgendwann hat einer der beiden mich angesprochen und mir gesagt, dass auch in ihre Mitte kommen kann, um gemeinsam den Rest zu gehen. Das war für mich das Beste, was passieren konnte“, erinnert sich Kuska. „Sie waren unglaublich fit, einer der beiden ist auch im Deutschen Alpenverein. Falls sie das lesen: liebe Grüße und vielen Dank! Es war einfach top.“

Bastian Kuska 100 Kilometer Megamarsch Weserbergland
Selbsterklärend. Foto: privat,
Dennoch: Nach 70 Kilometern hat Kuska schmerzhafte Blasen an den Füßen, der gesamte Bewegungsapparat macht hüftabwärts abwechselnd, gleichzeitig und dann wieder abwechselnd Probleme. Schmerzen in der Kniekehle, am Knie selbst, in den Waden, an beiden Oberschenkelseiten – Kuska wird nur noch von seinem Willen getragen. Der Körper schreit längst: Feierabend.

„Ich habe von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation, von Kilometer zu Kilometer gedacht. In der Nacht habe ich an den Sonnenaufgang gedacht. Als der Sonnenaufgang kam, habe ich daran gedacht, wie ich nach rund 85 Kilometern auf dem Ausguck an der Pagenburg stehe und nicht mehr weit gehen muss. Und dann war da ein Zitat von Oliver Kahn, das mir nicht aus dem Kopf ging: weiter, immer weiter. Das mag etwas klischeehaft klingen, aber das war mein Antrieb. Wenn die negativen Gedanken kamen, habe mir aktiv gesagt, dass ich weiter mache – bis die Gedanken wieder weg waren“, erklärt der Megamarschierer.

Bastian Kuska 100 Kilometer Megamarsch Weserbergland
Der 70-jährige „Günni“ gratuliert dem Debütanten. Foto: privat.
Nach dem Passieren der Pagenburg übermannen Kuska die Emotionen. Er fängt immer wieder zu weinen. Der Zieleinlauf wird greifbare Realität. Auf den letzten zwei Kilometern fällt der ehemalige Klasse-Keeper hinter seinen beiden Weggefährten zurück – er kann nicht mehr schritthalten. Doch im Stich lassen ihn die beiden nicht. „Nach dem Zieleinlauf ist mir einer der beiden wieder entgegengekommen, um die letzten Meter mit mir zu gehen. Im Ziel angekommen, habe ich die beiden umarmt und war einfach nur noch erleichtert. Nicht euphorisch, sondern einfach nur erleichtert“, gesteht Kuska, der von seiner Freundin Sina, Familienmitgliedern und Freunden am Ziel empfangen wird. „Nur“ 17 Stunden hat er gebraucht. Kuska hat sich bewiesen: Wenn er will, dann kann er. Und wie.

„An dieser Stelle möchte ich allen danken, die für mich da waren, aber ganz besonders meiner Freundin. Sie hat mich in den Tagen danach mit ganz viel Geduld gepflegt.“ Offenbar so gut, dass der passionierte Schlagzeuger wenige Tage später mit seinem Kumpel Peter nach London reisen kann, um seine Lieblingsband, die Foo Fighters, zu bejubeln. „Zwar war ich nur in Latschen unterwegs, die Blasen haben mich länger beschäftigt. Aber es ging irgendwie“, lacht Kuska.
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Autor des Artikels

Jannik Schröder
Jannik Schröder
Jannik stieg nach seinem Praktikum vor einigen Jahren neben dem Studium als Freier Mitarbeiter bei AWesA ins Boot – und ist nach seinem Master-Abschluss in Germanistik und Geschichte seit Oktober 2015 Chefredakteur.
Telefon: 0176 - 6217 6014
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