14.09.2022 15:44

Interview


„Klar, kurz, dominant, aber immer fair“ - Eine Schiedsrichterin im Männerfußball

Michelle Schrader spricht im Interview über ihre Erfahrungen als Unparteiische / „Brücke zwischen beiden Seiten ist unglaublich viel wert“
Michelle Schrader Abschiedsspiel
Kreis-Schiedsrichterin Michelle Schrader (li.) beim Abschiedsspiel von Werner Döhlinger.

Sie ist im Landkreis nicht nur für ihre fußballerischen Qualitäten am Ball bekannt: auch in der Rolle der Unparteiischen gibt Tünderns Landesliga-Fußballerin Michelle Schrader eine gute Figur ab. Seit einigen Jahren hält die abschlussstarke Kickerin im Kreisfußball Pfeife und Kontrolle in der Hand. Dafür erntet sie vielerorts Lob und Anerkennung – immerhin gibt es nicht viele Schiedsrichterinnen im Kreis, die auch im Herrenfußball als Referee aufwarten. Im Interview spricht sie über ihr Vorgehen, wenn es auf dem Platz mal wieder richtig zur Sache geht, ihr weiteres Engagement und das richtige Zeitmanagement neben ihrer Arbeit bei der Bundeswehr.

Michelle, Du bist im Kreis nicht nur als Spielerin von Blau-Weiß Tündern bekannt, sondern trittst unter anderem als Schiedsrichterin im Herrenbereich in Erscheinung. Wie kam dieser Entschluss zustande?
Michelle Schrader
: „Ich würde schätzen, dass das knapp drei Jahre her ist. Ich habe damals bei einem Oberliga-Spiel in Hastenbeck zugeschaut, bei dem es eine fragwürdige Elfmeterentscheidung gab. Da zu der Zeit auch eine Schiedsrichter-Beobachterin vor Ort war, habe ich sie gefragt, was sie in der Situation gemacht hätte. Daraufhin habe ich keine Antwort bekommen. Mich hat das aber wirklich interessiert, deshalb habe ich mir gedacht: vielleicht kann ich das ja auch. Abgesehen davon spiele ich auch seit 24 Jahren selbst Fußball und habe dementsprechend schon immer Kontakt zu Schiedsrichtern gehabt. Generell wird immer so viel über Schiedsrichter gemeckert. Natürlich hatte aber auch meine Familie einen großen Einfluss darauf. Ich habe meinen Bruder schon immer in Hilligsfeld unterstützt und auch mein Vater ist sehr aktiv beim TBH. Er war damals auf der Suche nach neuen Schiedsrichtern und hat deshalb auch mich gefragt, ob ich mich mir das vorstellen könnte.“

Du bist eine der ganz wenigen, bzw. sogar die einzige Schiedsrichterin, die auch die Kreisklassen der Herren pfeift. Inwiefern macht sich dieser Umstand auch auf dem Feld bemerkbar - beispielsweise im Umgang mit Spielern und Zuschauern?
Schrader: „Das krasseste Erlebnis hatte ich in Osterwald. Dort ist vor dem Spiel ein älterer Mann auf mich zugekommen, der meinte: ‚Ah eine Schiedsrichterin, da bin ich mal gespannt.‘ Leider haben manche so ihre Vorurteile. Nach dem Spiel kam er dann aber wieder auf mich zu und meinte, dass ich einer der besten Unparteiischen gewesen wäre, die er je gesehen hätte. So etwas freut mich natürlich. Ich höre auch häufiger von Spielern, dass sie mit mir anders umgehen als mit männlichen Schiedsrichtern, im positiven Sinne. Es wird weniger gemeckert und man hat das Gefühl, dass einem mehr Respekt entgegengebracht wird. Eigentlich ist das traurig, denn das sollte immer der Fall sein, aber für mich ist das natürlich positiv.“

Was müssen, Deiner Meinung nach, junge Anwärter – insbesondere junge Frauen – mitbringen, um sich in dieser „Männerdomäne“ als Referee durchzusetzen?
Schrader: „Ich glaube, man muss immer ein wenig frei Schnauze sein, also Brust raus, stolz sein und seine eigene Meinung vertreten. Da hilft mir natürlich auch mein Job bei der Bundeswehr. Da ist immer die Ansage: klar, kurz, dominant, aber immer fair. Ich sage ganz rigoros, wenn mir etwas nicht gefällt, habe aber auch mal einen guten Spruch auf den Lippen. Ein bisschen Humor ist immer gut. Das Beste ist aber, wenn du in Sachen Regelkunde immer auf dem neusten Stand bist. Wenn du mit deinem Wissen die Situationen richtig einschätzen und deine Entscheidungen den Spielern gegenüber vor allem erklären kannst, kommst du eigentlich sehr gut klar.“

Was könnten andersherum aber auch die „anderen“ - sprich Spieler, Trainer oder Zuschauer - an ihrem Verhalten ändern, um SchiedsrichterInnen den Einstieg zu erleichtern?
Schrader: „Es würde wahrscheinlich helfen, wenn Spieler und Zuschauer in Sachen Regeln selbst immer auf dem neusten Stand bleiben. Man hat das Gefühl, dass einige da nicht immer ganz up to date sind. Ganz besonders trifft das auf die Verteilung der Aufgaben zwischen Schiedsrichtern und den Assistenten an der Linie zu. Viele denken beispielsweise, dass ein Linienrichter für seine komplette Seite zuständig ist. Das stimmt allerdings nicht. Abgesehen davon hilft es natürlich auch nicht, wenn eine neutrale Wahrnehmung bei Zuschauern oder Trainern durch die eigene Vereinsbrille getrübt wird.“
Michelle Schrader Abschiedsspiel Werner Döringer
Immer mit Freude dabei: Michelle Schrader. Foto: Privat.

Du erhältst für Deine Leistungen als Schiri immer wieder Lob von den Mannschaften. Was ist Dir bei Deiner Spielleitung wichtig?
Schrader: „Am wichtigsten ist für mich, dass ich immer eine absolut klare Linie verfolge. Das sind Kleinigkeiten: beispielsweise achte ich immer ganz konsequent darauf, an welcher Stelle der Ball ins Aus geht. Viele schummeln sich gerne mal einige Meter vor. Das pfeife ich dann zwei- oder dreimal und danach belehren sie sich schon selbst. Das ist quasi so eine Art Erziehungsmethode.“

Auf dem Platz kann es auch schon einmal hitziger zugehen, da können sich die Gemüter gerne mal hochspielen. Was ist Deine Strategie, um die Partie in diesen Momenten wieder zu beruhigen?
Schrader: „In solchen Fällen unterbreche ich als Erstes die Partie und schnappe mir die Beteiligten. Dabei gebe ganz klar zu verstehen, dass alle Unbeteiligten sich zu entfernen haben. Danach erkläre ich die Situation und erläutere Schritt für Schritt, wie es weitergeht und warum es jetzt so weitergeht. Wichtig ist dabei ein ruhiger und angemessener Tonfall, man braucht ein gewisses Feingefühl in diesen Situationen. Oftmals haben die Spieler die Aktionen während der Partie ganz anders wahrgenommen. Da hilft mir natürlich auch meine jahrelange Erfahrung als Spielerin, die Brücke zwischen beiden Seiten ist unglaublich viel wert.“

Neben Deiner Rolle als Unparteiische bist Du als Fitnesstrainerin aktiv, hast Dir mittlerweile den B-Schein gesichert. Welche Ambitionen hast Du noch in diese Richtung?
Schrader: „Ich habe mir über die Bundeswehr in dem Bereich viele verschiedene Qualifikationen gesichert, beispielweise die Ausbildung zur Ernährungstrainerin, Cardio-Trainerin, Rehatrainerin und Gesundheitstrainerin. Ende November mache ich zudem die Prüfung für die A-Lizenz, mit der ich beispielsweise ein Fitnessstudio leiten dürfte. Nach meiner Zeit beim Bund würde ich aber gerne in eine Jugendanstalt wechseln, um dort im Sport- und Fitnessbereich zu arbeiten. Dabei dürften mir meine Qualifikationen durchaus helfen.“

Natürlich ist auch Deine Leistung als Spielerin nicht zu vergessen. Gemeinsam mit den Tünderschen „Schwalben“ machst Du momentan die Frauen Landesliga unsicher. Mit dem 5:0-Erfolg in Lembruch am vergangenen Wochenende, zu dem Du auch selbst ein Tor beigesteuert hast, habt Ihr einen verheißungsvollen Saisonstart hingelegt. Was ist Euch in dieser Spielzeit zuzutrauen?
Schrader: „Das ist nicht ganz leicht zu sagen. Wir haben ja eine ganz neue Mannschaft, weil viele Mädels hochgekommen sind. Die sind unheimlich sportlich, jung und athletisch. Gerade mit Hannah Schulze harmoniere ich unglaublich gut. Von daher werden die uns definitiv weiterbringen. Auf der anderen Seite ist aber noch offen, wie es mit unserer Toptorjägerin Hanna Kleindiek und ihren Knieproblemen weitergeht. Außerdem werden wir natürlich auch alle nicht jünger (lacht). Generell wollen wir aber oben mitmischen. Beim Topspiel gegen Lehrte am Wochenende wird sich schon vieles zeigen. Dahingehend bin ich aber positiv gestimmt, denn wir haben unglaublich viel Potenzial.“

Spielerin, Fitnesstrainerin und Schiedsrichterin – Du bist im Sportbereich quasi ein wahres Multitalent. Wie lassen sich Deine sportlichen Tätigkeiten neben dem Job auch zeitlich vereinbaren?
Schrader: „Die Bundeswehr ermöglicht mir Sport im Dienst, das ist natürlich ganz wichtig. Außerdem absolviere ich meine Wochenstunden auch schon in der Zeit von Montag bis Donnerstag. Zuzüglich versuche ich, zweimal die Woche vor Ort Individualsport zu betreiben. Zum Training beim Tündern kann ich dementsprechend nur am Freitag, aber mein Trainer Konrad Voss nimmt darauf glücklicherweise Rücksicht. Samstags und/oder sonntags pfeife ich dann oftmals Spiele und stehe zudem auch als Spielerin für Blau-Weiß auf dem Feld. Ich lege diese ganzen Termine aber selbst und weiß immer, was ansteht. Dafür habe ich meine To-Do-Listen, die mir helfen.“
 
Abschließend richtet die Schiedsrichterin noch einen Appell an potenzielle Interessenten:
Schrader: „Das Schiedsrichterdasein hat so viele Vorteile. Darum verstehe ich es nicht, warum das so wenige machen wollen. Ich wurde immer herzlich empfangen und für Bratwurst und Kaltgetränk ist auch immer irgendwo Zeit. Abgesehen davon kommt man bei so gut wie allen Spielen im Kreis kostenlos rein. Bei mir steht demnächst sogar ein Stadionbesuch an und auch der wird für Schiedsrichter kostenlos sein…“
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Autor des Artikels

Robin Besser
Robin Besser
Robin kam am 01. August 2022 als fester Neuzugang ins Team AWesA, war zuvor als freier Mitarbeiter aktiv. Sein Herz schlägt für den Lokalsport und die Vereine im Weserbergland.
Telefon: 05155 / 2819-320
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