08.10.2019 08:45

Oberliga


3:0-Sieg gegen HSV vor 26.000 Zuschauern: VfV Hildesheim im Portrait

Die Domstädter haben große Erstligazeiten erlebt / Aktuell greift VfV in der Oberliga oben an
Mannschaftsfoto VfV Hildesheim
Der VfV Borussia 06 Hildesheim gastiert am Samstag in Hameln (Foto: Marcel Hübner).

Dass in Hildesheim 22 (!) Jahre lang Erstligafußball gespielt wurde, ist den meisten Fußballfans außerhalb der Domstadt unbekannt. Dabei gehörte VfV Hildesheim in der Nachkriegszeit und davor zur Elite des deutschen Fußballs. Am 22. September 1945 entstand der Verein für Volkssport aus zahlreichen Hildesheimer Vereinen. Die Vorgängervereine sowie der VfV selbst spielten in den 1920er und 50er sowie 60er Jahren erstklassig – und erreichten 1961/62 gar das Viertelfinale der des DFB-Pokals. Darüber hinaus lieferte sich Hildesheim damals spannende Schlachten mit Größen wie Werder Bremen, dem Hamburger SV, Hannover 96 oder FC St. Pauli. Das heimische Friedrich-Ebert-Stadion platze phasenweise aus allen Nähten – das Topspiel gegen den HSV in der Saison 1961/62 verfolgten 26.000 (!) Zuschauer und bejubelten einen heute unglaublichen 3:0-Sieg. Am Ende wurden die Domstädter Dritter und verpassten damit knapp die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft. Jedoch erlebten die Hildesheimer die Geburt der Bundesliga im Jahr 1963 nicht als Protagonist mit. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Verein bereits im sportlichen Abschwung. Wichtige Leistungsträger wurden immer wieder von der Konkurrenz abgeworben. Die finanziellen Mittel reichten nicht mehr aus, um im Konzert der Großen mitzuspielen. Die erste Bundesliga-Saison sah Hildesheim aus der Entfernung in der zweiten Liga – und hielt auch diese Klasse nicht lange. 1967 folgte der Abstieg aus der zweitklassigen Regionalliga Nord in die drittklassige Landesliga Niedersachsen. Es ging weiter bergab: 1971 wurde Hildesheim in die Verbandsliga Süd (4. Liga) degradiert, 1979 folgte der Abstieg in die Landesliga West (5. Liga). In den Dekaden danach pendelte der Verein zwischen vierter und fünfter Liga – bis 2002 ein großer Einschnitt folgte.

Die Geburt von VfV Borussia 06 Hildesheim

Wappen VfV HildesheimDer VfV Hildesheim sah sich nicht mehr in der Lage, die finanziellen Belastungen der teuren Fußballsparte zu stemmen. Deshalb wurden die Fußballer, basierend auf dem Entschluss einer Mitgliederversammlung, zur Saison 2003/04 aus dem Gesamtverein exkludiert. Parallel ging es dem Verein Borussia Hildesheim alles andere als prächtig. Die Finanzen drückten den Borussen ebenfalls auf den Schuh, sportlich mischten sie nur auf Kreisebene mit. Die Zweifel, dass der Klub das 100-jährige Jubiläum noch erleben würde, wurden immer größer. Anfang 2003 folgten erste Überlegungen bezüglich einer Fusion. Während die VfV-Kicker eine hochklassige Mannschaft und zahlreiche starke Jugendmannschaften hatten, aber keinen Vorstand, war es bei der Borussia umgekehrt: sportlich eher mau aufgestellt, hatte der Verein einen funktionierenden Vorstand. Im Mai 2003 stimmten beide Parteien der geplanten Fusion endgültig zu – wenige Wochen später war der VfV Borussia 06 Hildesheim geboren. Das Friedrich-Ebert-Stadion sowie alle Infrastrukturen stellten die alte wie neue Heimat des neuen FC.

VfV steigt in Regionalliga auf

Direkt in der ersten Saison (2003/04) unter der neuen Flagge stieg VfV Borussia allerdings aus der Oberliga Niedersachsen/Bremen in die Niedersachsenliga West (5. Liga) ab. In den Folgejahren überstand der Klub diverse Neustrukturieren, von der Niedersachsenliga West über die Oberliga Niedersachsen West, die Oberliga Niedersachsen Ost bis hin zur eingleisigen Oberliga Niedersachsen – ehe die Mannschaft in der Saison 2014/15 die Früchte der jahrelangen sportlichen Kontinuität erntete. Im Winter 2013 verpflichtete der Verein mit Jürgen Stoffregen einen ehemaligen Jugendtrainer von Hannover 96, der unter anderem dabei mithalf, Weltmeister Per Mertesacker bereit für seine Profikarriere zu machen. „Unter Jürgen haben wir kontinuierlich eine starke Mannschaft aufgebaut und im Umfeld dafür gesorgt, dass die Rahmenbedingungen für die Regionalliga passen. Dabei war der Aufstieg kein Muss. Viel mehr wollten wir uns für den Fall der Fälle vorbereiten, aber sportlich lief es in dieser besonderen Konstellation einfach“, erinnert sich VfV-Manager Michael Salge. Hildesheim wurde hinter der SpVgg Drochtersen/Assel Vizemeister und qualifizierte sich für die Regionalliga-Relegation. In den hochspannenden Entscheidungsspielen starteten die Hildesheimer mit der 1:2-Niederlage gegen den Bremer SV denkbar ungünstig. Dafür bewiesen sie in im finalen Spiel Nerven aus Drahtseilen, schlugen den TSV Schilksee mit 3:2 und feierten aufgrund des besseren Torverhältnisses gegenüber den Bremern den viel umjubelten Aufstieg in die Regionalliga.

Drei Jahre vierte Liga

„Wir hatten die nötigen Sponsoren an Bord, die schnell signalisiert haben, dass sie diesen Weg mitgehen wollten“, so Salge. Plötzlich stand Hildesheim in der vierten Liga Vereinen gegenüber, die bereits professionelle Strukturen hatten. „Das ist für einen Verein, der nach wie vor vom Ehrenamt lebt, natürlich eine Riesenherausforderung. Mannschaften wie Lübeck, Oldenburg, Meppen oder Flensburg haben unter Profibedingungen gearbeitet. In unserem Verein musste daher alles perfekt passen – ein Rad musste reibungslos ins andere greifen. Wir haben die Mannschaft konsequent weiterentwickelt und junge, talentierte Spieler eingebaut. Das hat gut funktioniert“, erläutert Salge. Immerhin drei Jahre hielt sich Hildesheim in der Regionalliga – für einen Newcomer eine beachtliche Leistung. „Es waren drei interessante und tolle Jahre. Es ist schon beeindruckend, wie viel Engagement von unseren Ehrenamtlichen kam, um den Regionalliga-Fußball in Hildesheim möglich zu machen“, unterstreicht der Manager. 2017/18 erwischte es VfV Borussia schließlich. Hildesheim stieg als 16. wieder in die Oberliga ab und befand sich anschließend in einem Jahr der Neufindung.

Nach Findungsjahr: Hildesheim wieder oben dabei

„Es ist nicht einfach, sich in der starken Oberliga zurechtzufinden, selbst als Absteiger“, weiß Salge. Trainer Thomas Siegel, der noch während der Abstiegssaison im April 2018 verpflichtet wurde und in Niedersachsens höchster Klasse mit seiner Elf einen soliden siebten Rang erreichte, machte im mittlerweile abgelaufenen Sommer Platz für Übungsleiter Benjamin Duda. Unter ihm läuft es aktuell blendend beim Domstadt-Verein. Nach zehn Spieltagen hat Hildesheim neun von zehn Duellen gewonnen und grüßt von der Tabellenspitze. „Für uns ist das aber nur eine Momentaufnahme. Wir haben den Aufstieg nicht als Ziel ausgegeben, sondern wollen unter den ersten Fünf mitspielen. Wir wissen, dass die Saison bei 18 Mannschaften sehr lang ist und deshalb genießen wir einfach nur den Moment und hoffen, dass wir möglichst lange oben mitspielen können. Mit Mannschaften wie Atlas Delmenhorst, VfL Oldenburg, Egestorf-Langreder oder Spelle-Venhaus gibt es viele Mannschaften, die oben anklopfen und auch den Schritt in die Regionalliga gehen würden. Wir haben dagegen ein neues Trainergespann und viele junge Spieler im Kader“, skizziert Salge die aktuelle Lage in der Oberliga.

Über 1.000 Zuschauer im Schnitt

Adem Avci VfV Borussia Hildesheim Oberliga Fussball AWesA
Für Adem Avci wird es am Samstag eine besondere Partie (Foto: Marcel Hübner).
Mit im Schnitt 1.060 Zuschauern pro Heimspiel verfügt VfV über massig Unterstützung. Salge ist stolz auf diese positive Zuschauerentwicklung: „Die Region Hildesheim ist heiß auf Fußball. Das ist aufgrund der starken Handball-, Volleyball- und American Football-Mannschaften vor Ort keine Selbstverständlichkeit. Für uns ist das eine tolle Basis, auf der wir aufbauen können.“ Das Duell gegen Tündern wird insbesondere für den Hamelner Adem Avci, der für die Hildesheimer aktuell erfolgreich auf Torejagd geht, ein besonderes Spiel. Er trifft auf zahlreiche bekannte Gesichter in seiner Heimat Hameln. „Er wird alles aus sich herausholen, aber das tut er in jedem Spiel. Wir nehmen Tündern sehr ernst, in der Oberliga gibt es keine schlechten Mannschaften. Wir haben sie beobachtet und ihre Qualitäten gesehen“, fährt Salge mit Respekt in die Rattenfängerstadt. Fest steht für ihn aber auch: „Wir wollen die nächsten drei Punkte.“



126 / 166

Autor des Artikels

Jannik Schröder
Jannik Schröder
Jannik stieg nach seinem Praktikum vor einigen Jahren neben dem Studium als Freier Mitarbeiter bei AWesA ins Boot – und ist nach seinem Master-Abschluss in Germanistik und Geschichte seit Oktober 2015 Chefredakteur.
Telefon: 0176 - 6217 6014
schroeder@awesa.de

Webdesign & CMS by cybox